Startseite Menü einblenden Übersicht: Sonntagsbriefe 02.10.77 14.01.79 Drucken
Schild der actio spes unica

Meine lieben Brüder und Schwestern!

 

Wie erfahren Sie in Ihrem Empfinden den Unterschied zwischen Republik und Monarchie? Zwischen König und Präsident? Sie können den Unterschied gewiß verstandesmäßig bezeichnen. Darüber hinaus schwingt aber bei "König" oder "Kaiser" noch etwas mit, was sich nicht so leicht in Worte fassen läßt. Könige kommen in Märchen vor. Prinzen, Prinzessinnen, Königinnen. Es gehört zu den Modernitäten, über Märchen zu lächeln, sich über sie erhaben zu fühlen: "Märchen sind Kindersache". Irrtum! Erwachsene allein und zuallererst sollten sich mit Märchen befassen, mit echten, d.h. mit Traum-Erzählungen. Wahre Träume sind keine Schäume, sondern von übersinnlichen Mächten, von Gott oder Engeln eingegebene, in Bild-Sprache gefaßte Berichte über die Heilsgeschichte der Menschheit. Märchen sind vom Glanz des Jenseitigen, des ewig Gültigen durchflutet, vom Geheimnisvollen, Schauererregenden. Sie sind wie ein Land das ferne leuchtet, in das wir den Fuß nicht zu setzen vermögen. In der Tat können wir nicht betreten und mit unseren dem Tag verfallenen Leibes-Augen und Leibes-Ohren nicht erkennen, was wahrhaft und wesenhaft ist und sich begibt: "Unser Leben ist mit Christus verborgen in Gott". Aber zu dem, was unserer Eigenkraft sich entzieht, hat uns der Herr den Weg geöffnet, so daß wir Zutritt haben im Glauben, d.h. im höheren Wissen. Auf der Ebene dieses höheren Wissens liegt das Verstehen der Märchen. "Schneewittchen", "Der Wolf und die sieben Geißlein", "Dornröschen" und die vielen anderen – nicht Andersens Märchen, denn die sind gemacht und nicht geträumt, d.h. eingegeben – sagen und weisen, wozu es uns gibt.

So muß auch verstanden werden das, was letztlich zu verstehen ist unter Theater, Schau-Spiel. Schiller spricht von der Bühne als den "Brettern, die die Welt bedeuten". Ein viel zitiertes, sehr tiefes, selten verstandenes Wort.

Der Zuschauer erlebt die Bühne als ein unzugängliches, geheimnisvolles Jenseits. Trifft er anderen Tags den Schau-Spieler, den er zuvor auf der Bühne gesehen, so ist ihm, als begegne er eines Wesen aus anderen Welten. Staunende Verlegenheit ergreift ihn, ein Schauer. Das ist übertrieben gesagt. Aber Übertreibungen tun zuweilen not, um etwas deutlich zu machen.

"Die Bretter, die die Welt bedeuten" – die Bedeutung, der Sinn unseres Lebens ist dem diesseitigen Auge entrückt und nur dem höheren Wissen zugänglich. Und das Auge, das zur Bühne schaut, ist schon von diesem höheren Wissen beseelt, erhoben, durchformt. Vom Glauben. —

Präsident – das ist ein diesseitiges Wort. Der Präsident gehört dem Tage an, dem staubigen Werk-Tag. dem Zweckhaften, der Aktion, der zielbestimmten Unternehmung.

König – das ist ein jenseitiges Wort. Der König gehört dem anderen, höheren Lichte an, "das in der Finsternis leuchtet", dem Sinn, dem heiligen Spiel, der himmlischen Bedeutung. Für einen König läßt man sein Leben, weil sein Name und Amt über das irdisch-diesseitige Leben hinausweist.

Für einen Präsidenten setzt man sein Leben nicht aufs Spiel. Er ist ja ganz nüchtern einzig auf dieses Leben ausgerichtet. Der Präsident wohnt in seinem Amtszimmer. Der König wohnt im Schloß, in Pracht und Prunk. Abnehmen, "verkaufen, um den Erlös den Armen zu geben"? O nein! Dies verlangt doch schäbig-zweckhafter Sinn und unheilige Nüchternheit. "Was kränkt ihr dieses Weib?!" –

Muß ich jetzt noch viel sagen über Christ-König? Versteht man nun, wie eminent entrückt und heilig-jenseitiges Schau-Spiel im tiefsten Sinne des Wortes ist die heilige Liturgie des gottmenschlichen Opfers?

Die "liturgische" Entwicklung der letzten 15 Jahre ist nichts als ein widerwärtiges Hinab- und Hineinreißen des göttlich Entrückten ins Gewöhnliche, ins zweckhafte Licht des matten Tages.

 

Es grüßt Euch alle von Herzen  Euer Pfarrer Hans Milch.