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Meine lieben Brüder und Schwestern,
"Ihn sollt ihr hören!"
Wir wollen in dieser Fastenzeit wieder einmal eine Umschau halten, einen Rundumblick über gewisse Verhaltensweisen, Einstellungen im praktischen Leben. Und heute wiederum einmal über das Verhältnis zum alten Menschen. Das ist sehr, sehr wichtig, ist geradezu ein Barometer für die wirkliche Auffassung, die Haltung des einzelnen zum Menschen. Im Alter und am Alter, gegenüber dem Alter offenbart es sich!
Unsere heutige Zeit ist dem alten Menschen im Grunde sehr ungünstig gesonnen und gegenüber dem Alter höchst falsch eingerichtet. Erstens: ein gewisser Jugendkult. Das hängt mit dem Fortschrittswahn zusammen. "Alles je Neue ist das Beste": so ist die verbreitete, weithin unbewußte Vorstellung. Alles, was neu ist, was modern ist, ist automatisch besser als das, was davor war. Und wer "auf Zack" ist, ist modern, fortschrittlich, "up-to-date", er kommt mit der Welt zurecht, "er paßt in die Welt", wie es so schön heißt.
Und damit hängt auch die gewisse Anbetung der Cleverness zusammen. Heute muß der Mensch clever sein, routiniert, "gewußt wie" – das Knowhow in der Industrie und Wirtschaft ist sprichwörtlich geworden – Treffsicherheit, schnelle Reaktion, sofort blitzäugig wissen, was man zu sagen hat. Je schneller, desto besser! Vom Fernsehen her bekommen wir da auch falsche Auffassungen eingetrichtert. Wer gefragt wird, ist gezwungen, sofort zu antworten. Podiumsdiskussionen, Fernsehdiskussionen sind hoch im Kurs. Wer da am schnellsten antwortet, mit der Zunge bei der Hand ist, der ist oben auf. Auf das WAS kommt es gar nicht so sehr an! Was der langsam Denkende oft wesentlich besser und gründlicher denkt als der Blitzäugige, ist weithin vergessen. Cleverness hat mit Intelligenz rundherum nichts zu tun, auch z.B. gutes Gedächtnis oder schnelle Reaktion nicht!
Sie erleben Wunder bei Schwachsinnigen. Gehen Sie mal ins Vinzenzstift und unterhalten sich mit Zehn-, Elf-, Zwölfjährigen: wie perfekt die reagieren im Gespräch, altklug bis ins Letzte, geradezu druckreif! Oft haben sie noch hübsche Gesichter. Das sind hochgradig normale, wenn nicht gar überdurchschnittlich intelligente Jungen und Mädchen – und sind schwachsinnig! Sie haben ein tolles Gedächtnis. Sie vergessen nichts. Sie haben Zahlen im Gehirnkasten, daß es geradezu ein Wunder ist. Wie herumlaufende Computer gebärden sie sich. Aber schwachsinnig sind sie! Sie können nicht denken!
Das soll uns zu denken geben! Es gibt sehr, sehr viele alte Menschen, die ganz natürlicher Weise langsamer reagieren, schlecht hören, Schwierigkeiten haben in der Kommunikation, dabei aber mindestens so intelligent sind und so gründlich denken wie irgendein anderer Mensch sonst! Intelligenz ist eh spärlich gesät, bei alten Menschen keineswegs spärlicher als bei jungen. Und es ist eine Bequemlichkeit, alte Menschen nicht ernstzunehmen. Man ist dann schneller damit fertig. Man braucht sich nicht so anzustrengen im Zuhören, in der Unterhaltung, im Eingehen auf den alten Menschen. Er ist ja nicht mehr so clever, nicht mehr so gesellschaftlich ausstrahlungsfähig weithin, also nach modernen Begriffen langweiliger.
Man muß sich schon Mühe geben! Aber man ist der Mühe selbstverständlich enthoben, wenn man der Legende frönt "na ja, alte Menschen, die können nicht mehr so". Das hören auch alle Menschen von klein auf. "Na ja, der ist über siebzig oder über achtzig. Was kann man denn da schon noch groß erwarten." Solche beständigen Suggestionen wirken natürlich im Unterbewußtsein. Wenn das jemand seinen Lebtag lang hört und ist schließlich selber über siebzig, bildet er sich weithin selber ein, er könne nicht mehr so und er sei ein bißchen dabbelig. Und entsprechend wird er dann auch behandelt, so ein bißchen gönnerhaft, von oben herab, womöglich noch mit "Du" und "Oma" und "Opa", ach so liebevoll, so voller "Betreuung". Mit der "Betreuung" kann man sich herrlich loskaufen. Manche verlangen gerade vom alten Menschen, daß er sich schön brav betreuen läßt und den Mund hält. Wenn er gar noch eigene Ansichten entwickelt, eigene Vorstellungen oder gar noch den Mut hat, Fehler zu haben und zu offenbaren – wie jeder normale Mensch seit dem Sündenfall Fehler hat, und zwar gewichtige –, wenn ein alter Mensch noch wagt, seine Fehler zu zeigen oder sich anmerken zu lassen, dann ist es ganz aus! Er hat keine Fehler mehr zu haben, bzw. sich so zu verhalten, daß man seine Fehler nicht merkt, schön kuschen und gehorsam und völlig ausgeliefert, sklavisch ausgeliefert der "Betreuung". Und es gibt auf Gottes Erdboden nirgends etwas, wo die Infamie, die im Menschen eingepflanzt ist, deutlicher zum Ausdruck kommt als bei Wohltätern. Lieber hundert Feinde als zehn Wohltäter!
Merken Sie sich das, wenn sie einen Menschen kennenlernen! Bei Feinden wissen Sie immer, wo Sie dran sind. Der Wohltäter, der wird nicht ganz selbstlos um der Sache willen einstehen. Das ist eine relative Seltenheit! Meistens benutzt er seine ach so eifrigen "Wohltaten", um mit diesen "Wohltaten" zu herrschen und den anderen zu überfahren! Und das wird gerade gegenüber dem alten Menschen sehr, sehr oft deutlich. "Na, ich tue doch alles. Na also hören Sie mal! Was ich dem Menschen alles tue! Er bekommt, was er wünscht. Er wird bedient von morgens bis abends" – nur eben schön in die Ecke gedrängt, ausgeschaltet, nicht mehr ernstgenommen, nicht mehr einbezogen. Und mit den "Wohltaten" hat man sich wunderbar freigekauft. Und wenn man "Wohltaten" übt, hat man ja wohl auch noch den Anspruch, so ein bißchen Bedingungen daran zu knüpfen, was zu verlangen. Das erlebt man immer wieder. Wenn der "Bewohltätigte" es gar wagt, noch eigene Vorstellungen zu entwickeln, dann weiß man ja überhaupt nicht mehr, wo man dran ist. "Ja, was ist denn das! Jetzt empfängt er Wohltaten und hat noch eigene Vorstellungen! Wo gibt´s denn sowas!"
Und erst recht beim alten Menschen. Wenn der dann eigene Vorstellungen entwickelt, dann ist er unleidlich, unerträglich und furchtbar schwierig natürlich. Das erlebt man so oft, daß man sagt: "Ach, dieser Mensch, der oder die ist ja dermaßen schwierig." Es kann natürlich sehr leicht sein. Es ist mir geradezu eine apokalyptische Vision für mein Alter, daß ich dann betreut werde und im Betreut-Werden entmündigt. "Opa, jetzt sei einmal schön still und laß Dich schön betreuen." Das wäre mir das grausligste, grausiger als alles andere, dieses menschliche Entmündigtsein. Furchtbar!
Wer wirklich dem alten Menschen gut sein will, der nehme ihn ernst, als Person ganz ernst! Und selbstverständlich für sein eigenes Alter vorzusorgen hat jeder Mensch. Denn siehe das Alter ist die Stunde der Wahrheit, die Offenbarung! Da fällt nämlich der natürliche Eros von einem ab. Manche meinen ja noch ulkigerweise, sie würden deshalb nicht mehr sündigen können. Das hängt an der alten Vorstellung, man könne praktisch nur gegen das sechste Gebot sündigen, alles andere wäre nicht so wichtig. Auch eine sehr ulkige, aber in vielen Hinterköpfen sitzende Vorstellung. Die Hauptsünden, die wir begehen, begehen wir im Herzen und in Gedanken! Und da kann man mit fünfundneunzig genauso wacker sündigen wie mit dreißig und vierzig! Das sechste Gebot ist nicht das wichtigste!
Aber wenn der natürliche Eros von einem abgefallen ist, dann offenbart sich, ob man den Eros hinübergepflanzt hat ins Geistige, d.h. ob man sich in der Liebe geübt hat während seines Lebens, und zwar nicht nur in der Liebe gegenüber der Person, sondern auch in der Liebe gegenüber Gegenständen. Manche meinen, das Gehirn ist nur so ein klapperdürres Gestell, die Ratio sei ein furchtbar trockenes Instrument, womit nur gedacht und gewollt wird; dort oben werden die Befehle erteilt, und alle Lust und Freude ist sündhaft und wird dem Sexuellen dann auch überlassen. – Das ist eine sehr verbreitete Vorstellung, eine sehr irrige Vorstellung! Denn das Geistige ist nicht etwa nur ein Anhängsel an den Klapperkasten der dürren Ratio und des tyrannischen Willens, sondern ein leuchtendes Gebirge von Gefühl und Gemüt, von Inhalt und Eros!
Es gehört auch zur Liebe, auch in die Weite und Breite hinein, die Freude am Gedicht. Daß das nicht etwa nur für Akademiker geschrieben ist, davon haben wir schon oft gesprochen. Es ist ein Irrtum, wenn man meint, Schiller, Goethe, Lessing, Herder, Kleist usw. hätten nur für Abiturienten oder Schüler, Studenten und Doktoren geschrieben. Ein tiefer Irrtum! Die alten Griechen wußten, daß Sophoklos, Aischylos usw. ihre großen Werke geschrieben hatten für jeden Menschen!
Es ist auch so ein allerdings seit Jahrhunderten herrschender Wahn, daß die Intelligenz besonders beheimatet ist beim Akademiker, beim Gebildeten. Seitdem fängt der Mensch für viele erst beim Akademiker an bzw. die Gescheitheit. Das ist ein totaler Irrtum! Wie wenig Akademikertum mit Intelligenz zu tun hat, das haben gerade die letzten fünfzig Jahre bis zur Katastrophe bewiesen! Auch beim Analphabeten kann ungeheuer viel entfaltete Intelligenz und Bildung sein. Einer, der nicht lesen und schreiben kann, kann unendlich gebildeter sein als irgendein Obersekretär oder irgendeine Tippse! Die großen Werke sind geschrieben für jeden Menschen – für jeden! Und nach Beruf und Schicht und Bildungsgrad kann man überhaupt nicht von außen urteilen. Da kann der Straßenkehrer einen viel stärkeren geistigen Eros entfalten als irgendein Oberlandesgerichtsdirektor oder was weiß ich.
Und hier ist deshalb jeder Mensch angesprochen, in seinem Leben sich vertraut zu machen mit hohen Werten und die Liebe zu den großen geistigen Sphären zu entfalten. Dann wird er im Alltag auch ein angenehmer Mensch werden und wird erst Recht Anspruch darauf haben, daß man sich mit ihm unterhält, in Ruhe, mit langem Atem, mit gutem, langem Zuhören, worin das Menschliche erst gedeiht, und nicht etwa mit der cleveren, ratternden, blitzäugigen Diskussion. Da ist meistens relativ wenig Geist. Geist ist im langen Atem! AMEN.