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Niederschrift der Predigt von Pfarrer Hans Milch
Fest der allerheiligsten Dreifaltigkeit 1983
Schild der actio spes unica

Meine lieben Brüder und Schwestern,

 

Dreifaltigkeit.

Der Glaube an den einen Gott in drei Personen unterscheidet uns wesentlich von allen anderen Religionen – wesentlich. Denn wir wissen um die Dreifaltigkeit, weil wir hineingenommen sind in Gott. Denn drinnen offenbart Er Sich dreipersönlich. Nach außen wirkt Gott, wenn Er ein Geschöpf aus dem Nichts ins Dasein ruft, die Welt, den Menschen. Nach außen wirken alle drei Personen als ein einziges Wirkprinzip, als eine einzige Wirkursache. Darum wird Gott von außen als der Eine, Einpersönliche erlebt. Siehe die alten Juden, siehe die alte jüdische Religion heute, siehe den Islam: Da ist Gott der Herr, der Herrscher, der Eine, der Unbegreifliche, Ferne. Und es gibt keinen Weg zu Ihm. Denn zwischen dem unendlichen Sein und dem Endlichen, dem Begrenzten, dem Geschaffenen ist ein unendlicher Abstand. Darum gibt es auch vom Menschen her keinen "Weg zu Gott." Das Lied "Näher mein Gott zu Dir" ist ganz gut gemeint und man kann es mit ein paar Klimmzügen, mit Ach und Krach richtig verstehen, aber im Grunde ist es irreführend. Es gibt keinen Weg, wie es z.B. in jenen "zwölf Jahren" immer hieß, einen "arteigenen Weg zu Gott". Heute hört man das wieder: "Ich habe meinen eigenen Weg zu Gott" oder "Wir sind alle auf dem Weg zu Gott; wir sind eine pilgernde Gemeinde" oder "Das pilgernde Gottesvolk auf dem Weg zu Gott."

Ebenso falsch, und das betone ich schon hundertemal und aberhundertemal sind die üblichen Todesanzeigen. Sie wären eine gute Taufanzeige, wenn es heißen würde: Am soundsovielten wurde/wird dieser oder jene aufgenommen in Gott oder wird Gott der Allmächtige diesen und jene zu Sich nehmen in Sein ewiges Reich. Das wäre keine vorweggenommene Todesanzeige, aber eine sehr richtige, präzise Taufanzeige. Denn da geschieht es. Da nimmt Gott dich zu Sich. Nachher, wenn du dich vom Körper lösen willst und du willst dann noch einmal zu Ihm hin, dann ist es zu spät. Du mußt dann schon in Ihm sein. Eine richtige Todesanzeige hieße beispielsweise: "Am soundsovielten hat dieser Mensch seinen Körper verlassen" oder "ist seinem Körper entronnen, so daß er nun mit erwachten Geistesaugen sein wahres Sein erschaut oder erfährt." Das wäre eine wesensgemäße Todesanzeige. Aber nicht, wie man es auch bei Geistlichen, bei Prälaten lesen kann: Er nahm Seinen hochwürdigsten Diener N.N. zu Sich in Sein himmlisches Reich. Das ist falsch. Wir sind in Ihm. Das ist die Taufe. Das ist ein aufregendes Ereignis. Der Mensch gerät aus dem Außen ins Innen Gottes. Wäre Gott einpersönlich, dann könnten wir nicht in Ihn hinein. Wir wären nur draußen und könnten kein Du-zu-Du eingehen mit Ihm; zwischen dem, der uns unendlich überragt, gibt es kein Du-zu-Du. Rein theoretisch gesehen müßte man sich vorstellen, daß der eine Gott, der ewige, zeitlose Gott Sich menschengeistige Wesen erschafft, um sie zu vergöttlichen, damit Er in ihnen endlich eine Begegnung fände. Dann wäre der einsame, arme Gott darauf angewiesen, geistige Wesen zu erschaffen, um aus seiner Einsamkeit erlöst zu werden. Dann würden wir Gott erlösen und Er nicht uns. Also: Gott muß selber Du-zu-Du sein, damit wir erlöst werden, indem wir in Sein Du-zu-Du hineingenommen werden. Und da können wir nicht zu Ihm hin gehen, sondern da muß Er uns in Sich hineinnehmen, indem Er kommt.

Gott wird Mensch, damit der Mensch vergöttlicht werde. Das ist unser Glaube. Und wir werden dadurch vergöttlicht, daß wir hineingenommen werden. Und alle sieben Sakramente sind nichts anderes als eine siebenfach entfaltete Taufe, Tauche. Das Hineingenommensein, das Drinnensein wird vermehrt, erneuert, genährt, gestärkt, spezifisch geprägt. Aber es ist immer eine einzige Taufe. "Gehet hin! Lehret alle. Und alle Glaubenden tauchet hinein in das Wesen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes." Und jetzt sind wir drinnen.

Aber es ist natürlich bequem, draußen zu sein. Deshalb ziehen es viele Menschen vor, den Ein-Gott in Seiner Einpersonalität anzubeten. Der Islam liefert Gott, dem fernen Herrscher, seinen Tribut ab, wie die alten Juden. "Was willst Du von uns haben? – Hier hast Du es. Nachdem wir unsere Steuern bezahlt haben, sind wir hier auf unserer Erde, um unsere Wünsche zu erfüllen." Oder man verharrt im Noch-Nicht. Denn die Dreifaltigkeit wird im besetzten offiziellen Raum der Kirche geleugnet. Selbstverständlich, wenn sie jetzt irgendwo zu einem harmlosen Pfarrer gehen, wird der im Viereck springen, wenn sie ihm sagen, er würde die Heiligste Dreifaltigkeit leugnen. Aber wenn sie nur ein bißchen intensiv bohren und penetrant bohren, bleibt ihm schließlich nichts mehr anderes übrig als ärgerlich zu sagen, es käme ja auch auf solche theologischen Genauigkeiten nicht an, die Hauptsache sei die Liebe. Apropos Liebe: Gott ist die Liebe, Gott ist Caritas, ist DU-zu-DU. Wenn aus unseren Reihen den Progressisten vorgeworfen wird, sie würden nur den Gott der Liebe predigen, aber nicht den Gott der Gerechtigkeit und der Strafe, den furchterregenden Gott, dann ist das natürlich blanker Unsinn. Die Progressisten verstehen die Liebe falsch. Suddelig und sabbelig, so verstehen sie die Liebe.

Gott ist nur Liebe, und Seine Gerechtigkeit ist Liebe und Erbarmen. Es ist unendlich dumm und irreführend zu sagen: Gott ist zwar barmherzig, aber auch gerecht. Dann bin ich bis heute nicht erlöst. Wenn Er "aber auch gerecht" ist, dann wird Seine Barmherzigkeit durch die Gerechtigkeit begrenzt, und dann bin ich mit Haut und Haaren verloren. Da weiß ich überhaupt nicht mehr, wo ich dran bin: Trifft mich gerade jetzt Seine Barmherzigkeit oder Seine Gerechtigkeit? Das kann ich dann beim besten Willen nicht wissen. Dann bin ich verratzt. Nein. Er ist Mensch geworden und ist am Kreuze verblutet, um die Gerechtigkeit durch Seine absolute Barmherzigkeit zu erfüllen. Und Seine absolute Barmherzigkeit und Seine grenzenlose Liebe sind etwas außerordentlich Schreckenerregendes, sind im höchsten Grade ernstzunehmen, sind ein verzehrendes Feuer. Es ist die absolute Liebe und von daher außerordentlich gefährlich. Du kannst Millionen Morde und Verbrechen begangen haben: Der Bruchteil einer Sekunde, in dem du auf Sein Angebot eingehst, rettet dich total – total! Keine je begangene Sünde steht zwischen Ihm und dir, denn Sein Erbarmen ist grenzenlos. Nicht "auch gerecht", o weh! – Er ist nur Erbarmen. Das Aber ist außerordentlich gefährlich. Denn wer dieses Erbarmen nicht mehr will, nicht einmal dieses unendliche Erbarmen, der ist verloren. Für den bleibt keine Hoffnung mehr. Darum ergibt sich gerade aus der absoluten Liebe Gottes, die in Christus offenbart worden ist, die Hölle. Mit Christus ist die Hölle überhaupt erst gegeben, Seiner unendlichen Liebe wegen. "Ja, da kann ich mich ja beruhigen, denn die will ich ja. Wer will nicht Sein Erbarmen und Seine Liebe." – "Wirket euer Heil mit Furcht und Zittern" – nicht vor Gott. Furcht selbstverständlich vor Ihm, gerade weil ich in Seine Liebe hineingenommen bin. Denn Liebe ist auch furchterregend, schauererregend. Mir bangt vor der Wonne, die mich entzückt. Liebe ist auch furchterregend, weil sie alles übersteigt, was ich mir vorstellen kann. Liebe packt mich. Liebe reißt mich ins Unendliche. Liebe ist mehr, als ich selber je erahnen konnte. Deshalb birgt Liebe in sich auch Furcht, zweifellos, aber keine Angst. Angst vor Gott? – Nein. Er ist nur Licht. Und das sagt der hl. Johannes geradezu im Stil einer Dogmendefinierung: "Das ist die Botschaft, die wir euch zu verkünden haben: Gott ist Licht, in Ihm ist keine Finsternis" – also keine Rachsucht, kein Zorn. Der "Zorn Gottes" ist nur ein symbolischer Ausdruck für das Außerhalb-Gottes-Sein, für das Nicht-in-Gott-Sein. Wer nicht in Gott ist, der erfährt den Zorn Gottes.

Aber will ich wirklich in Gott sein? Will ich diese absolute Barmherzigkeit und Liebe? Sie ist höchst unbequem. Herrlich ist sie, aber höchst unbequem. Sie nimmt mich völlig in Beschlag. Da gibt es kein "Auch". Dieses Angebot des menschgewordenen und am Galgen verendeten und verblutenden Gottes, der sich mir ganz gibt, ungeteilt dir hingibt, das ganze Feuer dir, als wärest du allein in der Welt, das läßt natürlich Gott nicht ein "Auch" und "Außerdem" sein. Die Menschen haben lieber den einpersönlichen Gott und bleiben draußen vor der Tür und sind auf dem Wege, im Noch-Nicht, tappen im Dunkeln. "Sie haben die Finsternis lieber als das Licht", das Unverbindliche. Da können sie ihren eigenen Wünschen nachgehen. Im Nichts ist es höchst bequem, in der Sinnlosigkeit. Wir müßten übrigens auch erlöst werden, wenn keine Sünde vorläge. Aus der bloßen Geschöpflichkeit müßten wir erlöst werden und mit uns die ganze Welt. Jetzt kommt die Sünde hinzu. Da die Sünde hinzukommt und überhand nimmt, wird die Gnade überschwenglich. Gerade der Sünde wegen, der äußersten Sünde wegen, offenbart sich die Gnade in ihrer Überschwenglichkeit. Aber wer will sie schon? Die einzige Antwort ist die totale Hingabe. Da gibt es keinen Urlaub und keine Ferien, kein Dispens und kein "Pflicht getan haben". Jetzt sind wir unter uns. Jetzt bin ich auf dieser Welt, und jetzt kann ich meine Hütte bauen. Jetzt bin ich bei mir. Jetzt habe ich Ferien. Jetzt habe ich meine Pflicht getan. Jetzt habe ich mein gutes Gewissen, das sanfte Ruhekissen usw. Das alles gibt es dann nicht mehr. Aus damit! Ich schlafe nicht, weil ich ein gutes Gewissen habe, sondern ich schlafe Seines Erbarmens wegen gut. Ein gutes Gewissen habe ich nicht. Das überlasse ich den Pharisäern, das "gute Gewissen". Wer kann gegenüber dem Gekreuzigten und am Galgen verblutenden Gott ein gutes Gewissen haben? Das ist eine völlige Undenkbarkeit. Auf Seinem Erbarmen ruhe ich aus, aber nicht bei mir selber.

Aber es ist angenehmer, bequemer, im Nichts zu verharren. Und deshalb wollen die Leute Sein Erbarmen nicht. Ja wollen wir es? Will ich es, willst du es wirklich? Ich weiß es nicht. Vielleicht will ich nur die Rolle spielen, so als ob. Ich weiß es nicht. Es hat gar keinen Zweck, mich bis in die Unendlichkeit hinein zu analysieren. Da würde ich verrückt werden, müßte ich in Behandlung. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als ununterbrochen Sein Erbarmen anzurufen. Und es gibt einen Maßstab für die Echtheit der Hingabe: die Vorfreude auf den Himmel. Natürlich auf den wirklichen Himmel, auf das Du-zu-Du und der ekstatischen Liebe. Nicht den Himmel einer rein irdischen oder rein menschlichen, natürlichen Glückseligkeit, wie ihn vorübergehend einige Theologen aus irriger Voraussetzung, weil sie die Paradoxie des geistigen Wesens nicht erkannten, gemeint haben. Das ist ein unvollziehbarer Irrtum. Oder wie die Zeugen Jehovas sich die Glückseligkeit vorstellen, so ein ewiges Mallorca.

Was der Mensch ersehnt ist nichts anderes als das, was in Gott ist. Und was ist in Gott? Ewige Ekstase. Die drei Personen sind ineinander, sind außer Sich: der Vater im Sohn, der Sohn im Vater, beide im Geist und der Geist in beiden. Die Theologen sprechen von der "circum insessio", d.h. rundherum ineinanderwohnen. Das Kreisen der Liebe im ewigen JETZT der vollkommenen Liebesekstase: das ist präzise der Himmel, da hineingenommen sein – und das sind wir schon jetzt. Nur ist es jetzt noch verborgen, wie der hl. Paulus sagt: "Unser Leben ist in Christus verborgen im Vater"– verborgen durch unser Kreuz, durch die Schicksalsschläge, durch unser Leid, durch unsere Unglückseligkeit, Trübsinn, durch die Grenzen, an die wir ständig stoßen, durch die Langeweile und das ständige Einerlei des Tages, durch die tausend Nadelstiche, durch all das vielfache Elend, das Unerfülltsein. Die Herrlichkeit ist im Kreuz verborgen. Und dann fällt das alles von uns ab, und wir schauen die Herrlichkeit, die durch die heiligen Mysterien in uns ist. Wir erleben sie, atmen sie, genießen sie. Wir beteiligen uns in Christus an der Ekstase in Gott. In der Kraft des Heiligen Geistes, d.h. mit den Augen Mariens schauen wir Christus, Sein Gesicht – Ihn. Wir werden Ihn sehen. Wie ich neulich sagte, der hl. Jean Vianney, der hl. Pfarrer von Ars, der in seiner Predigt unter Tränen ununterbrochen wiederholte: "Kindlein, wir werden Ihn sehen. Wir werden Ihn sehen" – und dann, in Christus hineingenommen, organisch mit Ihm verbunden, den Vater schauen: Und so kreisen Sie in der Liebe, geborgen im DU-zu-DU. Und der da sagt; Ich bin es, in dem ist alles und jeder und jede, die je wir geliebt. Und die Liebe, die sich auf den einen oder die eine bezieht, jene unentrinnbare schicksalhafte Liebe, mit der zwei Menschen sich für immer miteinander vereinen – sie ist der tiefe Sinn der Ehe – und bedeutet, daß wir in dem geliebten Menschen Gott finden. Denn wer sich an ein DU bindet um des DU willen, ewig, unentrinnbar, weil es keinen Ersatz, keinen Austausch, nichts anderes gibt als gerade diesen Menschen – keine Welt und keine Millionen und Milliarden können ihn, den einen Menschen, aufwiegen –, der stößt mit seiner Liebe in die Tiefe, ins Unendliche, in Gott, auch wenn er es nicht weiß. Es ist immer die Hingabe an den einen. Und die Dreifaltigkeit, das DU-zu-DU Gottes, in das wir hineingenommen werden, ist die Hingabe an den einzigen Gott. Weil Gott einer ist, darum muß Er dreipersönlich sein. – Das jetzt näher darzulegen, würde ein Seminar in Anspruch nehmen. Ich kann es nur andeuten. – Drinnen, jetzt schon im Zeichen des Kreuzes vereint mit dem gekreuzigten Gott, und dann vereint im Atmen Lind Erleben, Seine Herrlichkeit schauend im ekstatischen, wonnigen, unbedrohten, unbegrenzten JETZT der Liebe: das ist unsere Hoffnung, das ist unsere Vorfreude. Und das kommt bald, dauert nicht mehr lange. Und wenn du dich darauf freust, brauchst du kein Fegefeuer. Denn wenn du erst einmal gereinigt werden mußt in den Flammen der Sehnsucht, in der "beata passio", in der glückseligen Leidenschaft des Puratorium, dann ist das nichts anderes als nachgeholte, nachzuholende Vorfreude. Wenn du aber jetzt schon die Vorfreude hast – mag geschehen sein was immer! –, sofort wirst du die ganze Herrlichkeit erfahren, diese Herrlichkeit der Liebe, die natürlich zugleich Macht ist, Besitz, Ruhm. Darum sei dir die vollkommene Vorfreude gewährt. Du bist Mitte. Und von der "Alleinheit in Ihm" zu sprechen würde jetzt auch zu weit führen. —

Aber betrachten wir das traurige Panorama draußen. Heute, wo auch die offiziell sich darstellende Institutionen Kirche, die seinshaft die katholische Kirche ist, aber ein Erscheinungsbild bietet, das grundsätzlich in Widerspruch steht zum Wesen der Kirche, wo also das Gegengewicht fehlt in der verlorenen, gegenüber einer wachsenden unbewältigten Technik zappelnden Menschheit, ist es bis zum Exzeß grausig geworden – das Nichts und die Liebe der Menschen zum Nichts. Diese Liebe zum Nichts ist die Liebe zu den Seifenblasen, zu den Illusionen, zu den tausendfachen Illusion des Nichts. Nur wollen sie unter keinen Umständen merken, daß es das Nichts ist. Sie wissen es. Sie wollen das Nichts genießen, aber sie haben eine panische Angst davor. Sie haben eine panische Angst vor dem, was sie selbst dauernd suchen. Darum dürfen sie nicht allein sein. Wehe, wenn sie gestellt sind. Dann merken sie Ihr Nichts. Und darum fliehen sie. Das ist im Grunde die ganze Angst der heutigen Menschen, nicht die Angst vor dem Atomkrieg. Das ist Larifari. Was die da zu den Protestmärschen hinreißt, ist nicht die Angst vor dem Atomkrieg. Die haben alle keine Angst vor dem Atomkrieg. Daran brauchen sie nicht zu denken. Die haben auch keine Angst vor der Umweltverschmutzung oder vor dem Waldsterben, obwohl das Grund genug ist zur Angst. Aber die da rumlaufen, haben bestimmt keine Angst. Sie haben Angst vor sich selbst. Sie wollen nur Remmidemmi. Sie würden auch gegen zu hohe Eierpreise demonstrieren. Es ist vollkommen wurscht wogegen, Hauptsache, sie marschieren, sie sind im Miteinander, sie haken einander ein. Es muß immer etwas drumherum sein. Immer nur mit, mit, mit, mit.

Und im verfälschten, im besetzten und verdunkelten Innenraum der Kirche, da wird das ja zusätzlich geboten. Es ist immer etwas los – "es muß etwas geschehen"–, immer 'was los: Diskussion, Feiern, Zusammenkommen, Zusammenkünfte, Miteinander, Brüderlichkeit, Versöhnung, Händchenreichen, Feste, Diskussion, Gespräch, Diskussion, noch einmal Diskussionen. Nur nicht allein sein. Immer im Kreise gehetzt, immer gedreht... Dagegen würde die Liebe zum einen Menschen, die ewige Bindung Dimensionen aufreißen, mit denen der heutige Mensch nicht fertig wird, vor der er eine panische Angst hat. Nur keine Tiefen sichten, in die Senkrechte ragende Aussichten aufreißen. Nur keine Perspektiven, die ins Grenzenlose gehen. Nur schön an der Oberfläche bleiben. Immer nun alles verkonsumieren, alles verkonsumieren. Treffend schreibt das Joachim Fernau, wenn ich gerade mal vorlesen darf: "Der Mann des zwanzigsten Jahrhundert, für den das monotone optische Zusichnehmen von erotischen Interna, also Innenereignissen, zu einer gedankenlosen Gewohnheit wird wie Atmen, befindet sich im Zustand eines verschleckerten Kindes, das alle zehn Minuten ein Bonbonchen oder Schokolädchen ißt und nie in den Genuß eines starken Hungergefühls kommt. Denn reißender Hunger, den man stillen kann, ist ein Hochgenuß. Genauso, wie die heutige Wirtschaft ihren Stolz dareinsetzt, daß das Angebot stets größer ist als die Nachfrage und wir bis zum Überdruß mit allem zugedeckt sind, so darf es offenbar auch in der Erotik in keiner Sekunde den beängstigenden Anschein einer Verknappung geben. Kein "vernünftiger" vernünftiger in Ausführungszeichen, kein "vernünftiger" Mensch betrachtet heute die Liebe noch als individuelles, großes, elementares Schicksal. Der existenzgeänstigte Mensch will das Wort "Schicksal" gar nicht hören und hat die Vorstellung von "elementar" völlig aus seinem Leben verdrängt. Unsere Zeit betrachtet die Liebe, genauer gesagt die Liebesillusionen als eine Sache, auf deren Lieferung jeder Steuerzahler Anspruch hat. Bei Nichtgefallen geht die Illusionen retour." –

Das ist treffend gesagt. Der große Anspruch, der ewige Ansprach auf das Ewige, auf das Nicht-Aufhören fehlt. "Weh spricht: Vergeh! Doch alle Lust will Ewigkeit" –, das ist nicht mehr da, dieser große, in der Tiefe ruhende Anspruch wird dauernd niedergetrampelt. Es muß am Rande getändelt und getänzelt werden. Das ist außerordentlich bequem, ist ein Rausch. Die Menschen heute, erst recht die Jugend in ihrem Großteil – selbstverständlich von Ausnahmen abgesehen –, sind Opfer, armselige Opfer, Opfer verblödeter Lehre – auch da natürlich Ausnahmen –, verblödeter Medien und verblödender Medien, beständig, stetig wachsend und krabbelnd wie eine Ameise, die nur zweidimensional empfindet, auf einer Kugel immer im Kreise, meinend, ständig voranzuschreiten. Und dieses am Rande, im Nichts vegetieren ist selbstverständlich, wie dieser Joachim Fernau in einem anderen Buch schreibt, der Verlust der Zeitlosigkeit und damit das Versessensein, das Angewiesensein auf den Konsum.

Und der Fortschrittsglaube ist nichts anderes als ein ständiges Konsumieren im Wahn, das je Neue sei immer das Bessere, das Fortgeschrittenere. Von daher immer die dummen Bezeichnungen und Formulierungen, wie "Wollen wir dahinter zurückgehen oder hinter dieses Ereignis zurückgehen?" oder "Wir leben ja schließlich im zwanzigsten Jahrhundert" und all diese Idiotien, die so tun, als wäre mit dem Fortschreiten der Zeit auch ein innerer Fortschritt, ein qualitativer Fortschritt gegeben. Aber diesen Wahn, den braucht heute die Menschheit. Und das ist schlimmer als Heroin, Alkohol usw. Das sind ja nur Randerscheinungen, Folgeerscheinungen dieser anderen Rauschgiftsucht – das Rauschgift des Nichts mit seinen Seifenblasen.

Nur nicht allein sein! Immer im Mitmachen, immer im Betrieb, immer was losmachen – nur nicht in die Senkrechte, nur nicht hoffen können. Denn sie können gar nicht hoffen. Und wenn sie hoffen wollten, müßten sie sich auf die Hoffnung einrichten und auf die Oberfläche, auf das Nichts verzichten. Und das ist ihnen wieder viel zu unbequem. Sie schaffen es einfach nicht mehr. – Das heutige Fest der allerheiligsten Dreifaltigkeit weist das absolute Gegengewicht auf. Es wird sich jeder einzelne entscheiden müssen. AMEN.