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Meine lieben Brüder und Schwestern,
"Der eine der Geheilten kam zurück."
Zurückkehren: Das ist der Inbegriff der Religion. Religion heißt ja nichts anderes, als zurückkehren. Der Mensch ist da, um zurückzukehren. "Kommt wieder, Menschenkinder", heißt es im Psalm. Heimkehr, Gebet ist nichts anderes als dies, daß der Mensch wieder zu sich selbst finde, zu sich selbst komme, und wo er ganz er ist, ganz eigentlich, ganz unvergleichlich und unwiederholbar er selber, da mündet er in Gott, da ist Gott zu Hause. "Bei sich sein" und "bei Gott sein" ist ein und dasselbe. Gott ist das Haus, wo unsere Heimat ist. Dort wohnen wir. Dort ist der Schoß, in den wir zurückkehren, der nächtige, bergende Schoß, wo wir verstanden sind, bewahrt, geliebt, total geliebt, total erkannt und im Erkennen geliebt.
Wenn unser Herz uns anklagt, dann ist Gott größer als unser Herz, und er weiß alles – wie wunderbar – und von mir des öfteren wiederholt dieses: "Er weiß alles". "Ich weiß ja alles. Es ist doch alles gut, komm! Atme auf, berge dich in Mir! Ich bin es!" Und weil Er es ist, weil Er der ICH BIN ist und zu mir "Du" sagt, deshalb bin ich. Und wo ich ganz ich bin, da werde ich angeredet vom allmächtig Wissenden und unendlich Liebenden: "Ich bin es".
Das zieht sich wie ein roter Faden durch die ganze Hl. Schrift, schon durch das Alte Testament und wird dann wahr und offenbar im Neuen Testament: "ICH BIN" Die vielen "Ich bin"-Sätze des Herrn: "Ich bin es."
Und dahin zurückzukehren ist unsere Sehnsucht. Denn wir sind in der Fremde. Wir sind hinausgestoßen in ein Land des Leidens. "Es ist diese Erde", wie Dostojewski sagt, "bis in ihren Kern hinein getränkt von Tränen." – In der Tat ein Tal des Jammers. Wer das in Abrede stellt, ist ein Tor, oberflächlich bis dorthinaus. Diese Erde ist das Tal der Tränen und des Jammers. Und das wird bis zum Jüngsten Tage so sein müssen – notwendigerweise – weil wir an Grenzen stoßen, weil es das Aufhören gibt, und weil wir immer wieder hinaus müssen. Aber wir dürfen immer wieder zurückkehren. Dieses "zu Hause sein" dem Menschen bewußt zu machen, schmackhaft zu machen, zu einem Begriff zu machen, ist die hohe Verantwortung der Eltern. Ich wiederhole: die hohe Verantwortung der Eltern, die ein Heim gründen, eine Familie gründen. Das Zuhause zu etwas tief Begehrenswertem zu machen, dort, wo die Kinder wissen: hier bin ich verstanden, hier werde ich geliebt, hier kann ich alles risikolos sagen, auch meine Fehler, die ich begangen habe, wo ich Schiffbruch erlitten habe. Ich kann es Menschen sagen, die mich bergen, die mich aufheben – im doppelten Sinne des Wortes: Aufheben im Sinne von "sichern", und aufheben im Sinne von "erheben".
Sicherlich ist dieses Zuhause eine unvollkommene Andeutung, wie alles auf Erden. Aber wir bedürfen der Andeutungen, um das zu begreifen, was angedeutet wird. Und darum ist die Familie etwas so eminent Wichtiges für das Bewußtsein des Menschen, für seine Möglichkeit und Fähigkeit, Trost zu finden im eigentlichen Haus, im eigentlichen Ursprung und Schoß, wo der Mensch total selbstlos geliebt und ganz verstanden wird, wo nichts verloren ist, wo alles registriert wird, liebend registriert wird.
Das ist übrigens nicht zu verwechseln mit einer Weichheit, die alles passieren läßt, ganz und gar nicht! Auch im bergenden Hause muß eine unerbittliche Strenge walten in der Forderung, aber zugleich die allverzeihende Liebe, eben das, was dieses Ein- und Ausatmen unseres Daseins ausmacht, das ja in zwei Polen ruht und zwischen zwei Polen sich spannt: Heimkehr und Aussendung. Das sind die beiden Pole.
Es wird nicht umsonst gesprochen vom "Schoße des Vaters", in dem der Eingeborene ruht. Und im Eingeborenen ruht die Weisheit, der Allgedanke von der Schöpfung, der Person geworden ist in Maria, die Weisheit, der Bergeschoß, der uns hineinbringt in den Urschoß, in den Ursprung, wo wir sagen: "Abba, Vater", wo wir angeschaut werden und deshalb anschauen können, weil wir angeschaut werden und deshalb erkennen können, weil wir erkannt werden und wo wir immer wieder hingehen: nach Hause!
Das ist das Gebet, das Wesen des Gebetes: Rückkehr, Heimkehr, nach Hause gehen, in den Ursprung gehen, in die heilige Nacht, die uns birgt, wo wir wissen, da ist das tief ersehnte, allmächtige, allwissende DU, das die unendliche Glut und Flamme zu einer allmächtigen, seienden Leidenschaft mir ungeteilt zuwendet, als wäre ich allein, ganz allein da, und es gäbe nur mich. So ungeteilt gehört in diesem bergenden Haus meiner Tiefe, ER, mir! Das ist das Gebet: verweilen, Gesichertsein. Dort kommt niemand hin, wo ich bete; kein Zugriff des Tyrannen, keine Gewalt der Waffen, kein Tod und keine Bedrohung; auch eigene Schuld, unter der ich leide, trifft nicht diesen heimatlichen Raum, wo ich mich hinflüchte im Gebet. Jeder prüfe sich selbst, wie er sein Gebet begreift, diese heilige Kammer, diese Brautkammer und Brautnacht, wo er ganz er selbst ist. Aber, wie gesagt, nicht zu verwechseln mit irgendeiner falschen Weichlichkeit, denn der Vater sendet uns zugleich mit heiliger Forderung und Unerbittlichkeit. Das ist dieses "gehe hin". Wir kommen mit unseren tausend Nöten und Sorgen, mit den Sorgen so vieler Seelen beladen und den Nöten und unendlichen Leiden der Mißverstandenen, der Einsamen und möchten gerne an Ort und Stelle erlöst werden von allem, was uns bedrängt. Und da heißt es: Nun geh hin! Nein, du mußt gehen! Gehe in die Fremde! Gehe in den Tag, in den tückischen, neidischen Tag hinein! Wache auf und mach dich auf den Weg! Iß und trink, du hast noch eine weite Reise vor dir! Steh auf und geh!"
Immer wieder dies im Alten und im Neuen Bunde. Immer wieder: "Erhebe dich! Fahre hinaus auf die See! Tu das Deine! Tu das, was die Stunde gebietet! Schau nicht zurück, packe an! Ich bin ja bei dir."
"Ich kann es nicht, Herr." "Doch, fang an, Du kannst!" Das ist immer dieses "Ite missa est". Hier sind wir ganz zu Hause, geborgen, hineingenommen in die Wandlung, in die ewige Liebe, ins innerdreifaltige Ineinander, umwoben vom Licht der Liebe – und dann: "Ite missa est. Ich bleibe bei dir. Nun geh, geh hinaus!" – die Forderung der Stunde erfüllend, was hier und jetzt geboten ist an deinem Ort, an dein Kreuz, voller Vertrauen. Und unterwegs, mitten im vertrauensvollen, mutigen Tun, in der rücksichtslosen Tat – rücksichtslos gegen eigene Schwächen und Vorbehalte – ereignen sich die Wunder, wird der Segen wahr, spüren wir, daß Der, der uns aussendet, mitgeht, in uns wandelt, wirkt, denkt, leidet, wie Er ja selber vom Vater ausgegangen ist und in die Welt gekommen und wieder zurückkehrt zum Vater, die Welt verlassend und die Welt mitnehmend zum Vater hin: "Er fährt auf zur Höhe und nimmt Gefangene mit."
Immer dieses Zurückkehren und Ausgesendet werden. Das ist das Ein- und Ausatmen unseres Daseins. Wenn ein Pol fehlt, ist das Dasein eine nichtssagende Farce. Entweder verkrümelt sich einer in weichlicher Angst, zieht sich zurück ins Schneckenhaus und meidet den Kampf: dann ist sein Dasein unfruchtbar. Er verweigert sich wie Jonas sich zuerst geweigert hat, nach Ninive zu gehen. "Geh nach Ninive, in die Blutstadt, in die Stadt der Verbrecher, wo Mord herrscht." Aber Jonas hatte eine panische Angst dorthin zu gehen. Und dann geriet er in den Schlund des Seeungeheuers; wurde wieder ausgespieen nach drei Tagen. Und dann ging er nach Ninive. Er ging einfach auf Sein Wort hin. Und Ninive bekehrte sich auf die Predigt des Jonas hin. –
Zurückkehren und sich aussenden lassen. – Wer allerdings ohne sich aussenden zu lassen, ohne immer wieder zurückzukehren, ohne behaust zu sein, im Urgrunde nur verzettelt und zerstreut ist in die Oberfläche des zweckhaften Tages, dessen Dasein ist null und nichtig und geht ins Verlorene, also ins Nichts! Beide Pole sind die Säulen, zwischen die der Sinn deines Lebens gespannt ist. Atme ein, atme aus. Berge dich und weine. Stehe auf und handle! AMEN."