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Meine lieben Brüder und Schwestern,
Das ist ein tiefes Geheimnis: Christus wäscht den Jüngern die Füße. Die Füße sind im alten Sprachgebrauch, gerade im hebräischen Sprachgebrauch, Sinnbild der unteren Kräfte des Menschen. Wer einen anderen reinigt, wäscht, der berührt sich selbst mit dem Schmutz, den er beseitigen will. Er dient dem, den er reinigt, und macht sich, indem er reinigt, mit dem Schmutz des zu Reinigenden selbst schmutzig. Es ist ein niedriger Dienst. Er tut es um dessentwillen, den er reinigen will. Er dient. Es ist der Dienst des Knechtes, ein Dienst der Ehrfurcht, der Höflichkeit, aber ein knechtischer Dienst, der dem erwiesen wird, der ins Haus kommt. Der Gast ist König.
Christus macht uns zu Königen. Er geht umher und bedient uns, wie Er an anderer Stelle sagt. Wir sitzen zu Tisch, und Er reicht uns das Mahl. "Ich wasche euch die Füße. Ich steige herab in die Tiefe aller denkbaren menschlichen Möglichkeiten, in die Tiefe menschlichen Daseins, in alle chaotischen Winkel, um zu reinigen. Ich nehme alles auf Mich, nehme es an Mich, mache es Mir zu eigen, nehme die Gestalt des Knechtes an, die Gestalt des Sünders, ohne selbst zu sündigen." – Er ist für uns zur Sünde geworden. Er selbst hat keine Sünde begangen, aber was Sünde bedeutet, das hat Er ganz angenommen. Er hat Seine Existenz zur Existenz der Sünde gemacht, Er ist ins Nichts eingestiegen. Gott als Mensch hat die Gottesferne durchlitten. Er hat Sich selbst entäußert. Er hat das Nichts ertragen. Der hl. Pfarrer von Ars hat einmal den Herrn gebeten: "Gib mir, daß ich mein eigenes Nichts erfahre." Es ward ihm zuteil. Am dritten Tage schrie er in äußerster Verzweiflung: "Herr, ich kann es nicht mehr ertragen, das eigene Nichts." Einer der größten Heiligen: Johannes Maria Vianney. Allein dieses Beispiel macht uns deutlich, wie wenig irgend jemand, irgendein Mensch Grund hat, sich zu rühmen, sich zu vergleichen, um gut abzuschneiden gegenüber anderen, sich besser zu dünken als andere. Gott selbst hat Sich das Nichts zu eigen gemacht. Er hat Sich selbst zernichtet und Seine Existenz ins Nichts hineingehalten und Sich schlagen lassen vom Anwalt des Nichts: von Satan. Gott erlebt als Mensch die Gottesferne! So steigt Er herab, so besudelt Er Sich mit den Abgründigkeiten, Nichtigkeiten, Verlorenheiten des menschlichen Daseins. Das ist der Sinn des Füßewaschens.
Er wäscht den Jüngern die Füße. Die Basis menschlicher, fleischlicher Erniedrigung, erbsündlich bedingter, erbsündlich verhängter und belasteter Existenz – Fußwaschung. Er dient, indem Er das vollzieht, was den Menschen rein macht und zur Höhe führt. Er macht Sich selbst zum Knecht des letzten Menschen und begegnet dem letzten, verachtetsten öffentlichen Sünder ehrfürchtig. Um den verlorenen Knecht zum König zu machen, macht Er Sich selbst zum Knecht. Das ist ein tiefes geistiges Unternehmen, ein erhabenes geistiges Unternehmen. Er steigt hinab und zeigt in diesem Hinabsteigen Seine ganze souveräne Größe. Wo Er die Füße wäscht, wo Er unter dem Kreuz hinschlägt und stürzt, gepeitscht von Schergen, wenn Er in Verzweiflung und Schande am Galgen stirbt, verlacht, verhöhnt, bleibt Er die Majestät. Als tiefster Knecht des letzten Menschen bleibt Er in atemberaubender, schweigender Größe. Da Er alle Insignien Seiner Herrschaft preisgibt, da Er jegliche Zeichen der Königswürde dahingibt, strahlt aus dem Abgrund selbstgewählten Knechtesdaseins herauf und heraus Sein Königtum. Das ist das Geheimnis.
Es ist von daher deutlich, meine lieben Brüder und Schwestern, wie lächerlich es ist, sich in Äußerlichkeiten zu ergehen; wenn Kardinäle in ihrem Purpur herumlaufen und Würstchen und Brot austeilen oder wenn ein Bischof Küchendienst macht und Geschirr spült. Was soll denn das? Das ist ein totales Mißverstehen. Wer im Namen des Christus bestellt ist und gesetzt ist, von DU zu DU, um jedem Begegnenden das ewige, dienende DU Gottes zu offenbaren, der muß leidend einsteigen in des Verlorensten Verlorenheit und in "einsamen Harmesnächten", um mal diesen Ausdruck Conrad Ferdinand Meyers zu gebrauchen, in einsamen Harmesnächten (harm = altdt. Wort für Leid, Kummer) einzusteigen in das Grauen und in die Not des Menschen. Das ist gefordert. Dafür gibt der Herr ein Zeichen. Mit irgendwelchen äußeren Vollzügen ist das nicht getan. Aber es ist die Auflage des Gottgesandten, Sich zu identifizieren mit den sündhaften, beschämenden, schändlichen Tendenzen, die in Dir und in mir und in jedem sind. Diese heilige Solidarität einzugehen, das ist die Sendung der Jünger. Weshalb ich stets wiederhole, daß die Reaktion des Christen bei der Wahrnehmung irgendeines Verbrechens nicht heißt: "Seht da, diesen Sünder und Bösewicht!", sondern die Reaktion des Christusgesandten heißt: "Das bin ich!"
Ich pflege gelegentlich jene Szene zu erzählen, die sich kurz nach dem Zusammenbruch des Naziregimes 1945 zugetragen haben soll. Wenn es nicht so geschehen ist, dann ist doch die tiefe Wahrheit unabdingbar, die in diesem Bericht liegt. Wie so üblich damals, unterhielten sich einige, es war zufällig in der Straßenbahn, und beteuerten, daß sie doch vollkommen unschuldig sind. Damals, nach dem 8. Mai 1945, ging ein Raunen und Reden und ein Schwall durch die Massen. "Ich war ja immer dagegen. Ich brauche mir nichts vorzuwerfen" – ich und ich. Und da war mal wieder so ein berühmtes Gespräch, zwei oder drei verständigten sich über ihre Unschuld. Plötzlich trat in ihre Mitte der Herr, groß, mit einem tief-traurigen, majestätischen Blick. "Ihr habt recht", sagte Er, "Ich bin schuldig."
Das ist die Botschaft dieser heiligen Nacht und dieser großen Stunde. Wer wagt noch zu sagen, "Ich bin unschuldig"? Die Menschen verbringen ihre Tage wie ein Geschwätz und halten durch die Stunden hin ein Plädoyer nach dem anderen dafür, wie recht sie doch gehandelt haben, wie gut sie es doch gemeint haben. Immer sind sie dabei, sich zu rechtfertigen. Sei vorsichtig! Gleich ist Er zur Stelle und raunt dir ins Ohr: "Halte nur weiter dein Plädoyer. Ich bin schuldig."
Er geht zum Vater, und Seine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der Ihn gesandt hat. Es ist die Speise, die Er in Sich hineinnimmt. Denn was außen ist, wird innen. Das ist das Wesen des Essens und des Trinkens. Das, was sichtbar ist, wird unsichtbar, hineinverwandelt in den Menschen. Christus ißt und trinkt, was Er vorfindet auf der gottfeindlichen Erde. Er nimmt es in Sich hinein: Not, Tod, ungerechtes Schicksal., alles Grauen, das sich über den Erdkreis hin spannt. "Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der Mich gesandt hat." Genau dasselbe. Sich hinabbeugen, sich identifizieren mit des Menschen Armseligkeit – Füße waschen – essen und trinken, Nacht und Not und Grauen: Er tut es. Und im Austausch gibt Er dafür Sich zur Speise. Er verwandelt in Sich Sünde und Not und Tod in Sieg, Verklärung und Herrlichkeit. Und indem Er das Unsrige in Sich hineinnimmt, gibt Er das Seine in Dich und in mich hinein. Wenn Du darum betest "Unser tägliches Brot gib uns heute", dann heißt das einmal: "Herr, gib mir, daß ich mich dienend wie der Gottesknecht hineinbegebe in der Menschen Not und Sünde, tief inleidend in mich einsaugend, um es in mich hineinzuverwandeln, der ich doch in Dir lebe Herr, in Deinem Sieg und in Deiner Überwindung, dienend, im Geiste mich beugend, füßewaschend. Das ist einmal "Unser tägliches Brot gib uns heute". Und dann: Er – Er ist das Brot. Zum Vater gewandt atme ich ein die ungeteilte, unendliche Fülle Seiner Eruptionen. Er zeugt den Sohn in mich hinein – "Unser tägliches Brot gib uns heute". "Vater, hier bin ich": ein jeder sage es. "Du bist gegenwärtig, Vater." Mit dem Herrn sind wir eins, jeder einzelne einsam eins auf hohem Berge. Und wir begeben uns im Geiste hin zum Opferaltar, dort, wo Er ißt und trinkt den Willen des Vaters und als Überwinder Sich uns zur Speise gibt, mit dem Auftrag, wie Er zu essen und zu trinken der Menschen Not, dienend, ehrfürchtig, demütig, mit der unsichtbaren Krone auf dem Haupte, ausgestattet mit dem, den wir als Sieger empfangen, um in Seiner Kraft die Finsternis, ein jeder in sich selbst, zu verwandeln ins Licht. Das ist das große Thema der heiligen Stunde. AMEN.