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Rundbrief vom 29. Mai 1977

Meine lieben Freunde in der spes unica!

 

Zunächst wünsche ich Ihnen allen die Fülle des Trostes durch den Heiligen Geist, der mächtiger ist als alle Machthaber der Erde, stärker als alle Bösartigkeit und Dummheit der Menschen, den längsten Hebelarm bedient in der Lenkung der Welt, der alle Verschwörungen und Ränke auszuschalten und zu überspielen vermag! Durch wen übt Er diese Macht aus? Durch Dich! Denn Du bist gefirmt, das heißt: Dein Getauchtsein in Christus ist so vollendet worden, daß Du in Ihm vom Vater den Heiligen Geist empfängst und wieder zurückhauchst zum Vater und strömen läßt in die Welt, um Menschen zu erleuchten, zu stärken, aufzurichten und zu bekehren. Es ist furchtbar, daß wir diese unsere Macht als Einzelne nicht erkennen, daß wir bei allem Beten und Opfern viel zu kleingläubig und verzagt sind. Die Essenz des Betens ist die Hingabe und das verwegene Vertrauen. Das Wort des heiligen Paulus: "Alles vermag ich in dem, der mich stärkt!" läßt sich ergänzen in dem Sinne: "Alles vermag mein Gebet in dem, der mich stärkt!" Unser Vertrauen bringt die Heere der Dämonen ins Wanken und versetzt sie in Furcht. Durch die heilige Firmung sind wir gesetzt zu Machthabern über die Gewalten der Finsternis. Wir werden siegen!

Es ist auch nicht wahr, daß die Menschen notwendigerweise erst zur Vernunft kommen würden durch eine das Abendland heimsuchende äußere Katastrophe – die geistige und moralische Katastrophe ist längst im Gange – obwohl alles dieser äußeren Katastrophe zusteuert, man denke zum Beispiel an die Torheit sehr vieler westlicher Politiker (bis in die nur noch mit Vorbehalt "christlich" zu nennenden Parteien hinein), an die subversiven marxistischen Aktionen, Agitationen und Wissenschafteleien (wozu auch die "Beratung" von Kriegsdienstverweigerern zu zählen ist), an die planmäßige Zerstörung jeglichen moralischen Bewußtseins – wobei der vom Gesetz seit 1976 (erstmalig nach 1945 wieder) geduldete tägliche Massenmord an einer Gruppe von Menschen, diesmal der Ungeborenen, nur die notwendige Folge jahrelang und heute noch geduldeter Versumpfung darstellt. Und dennoch – gegen eine Welt von Teufeln ist Deine und meine Macht durch den Heiligen Geist in Christus größer! Das Größere ist immer auf Deiner Seite, wenn Du vertraust!

Der Arianismus wurde überwunden, ohne daß die Hunnen von Westeuropa Besitz ergriffen. Die Krisen des 15. und 16. Jahrhunderts wurden bewältigt ohne einen Türkensieg über das Abendland. Und heute kann und wird uns der Sieg erblühen durch das übermächtige Trotzdem, das wir sind in IHM. Wir sind das Trotzdem gegen alle innerirdischen Argumente, Kalküls und Wahrscheinlichkeiten. Dieses Trotzdem ist das Einzige, was unserem Leben Sinn und Recht gibt. Es ist ER selbst. Also müssen und werden wir logischerweise siegen! Der Glaube des Einzelnen an seine Macht in IHM wird die Zukunft des Christentums kennzeichnen und sichern! Denn es geht um dies: Unsere Zukunft als Kirche! Darüber ist vieles zu sagen, entscheidend neues, und das werde ich am 16. Oktober 1977 in Wiesbaden tun!

Man nennt uns "konservativ", was nur insofern richtig ist, als die Kirche ihrem Wesen nach im Zeichen sowohl der Bewahrung (Konservativität) als auch der Weiterentwicklung, des Fortschritts (Progressivität) des überkommenen Erbes steht. Daher sind wir als Katholiken notwendigerweise sowohl konservativ als auch fortschrittlich. Es gibt Zeiten, in denen eine fruchtbare Spannung herrscht zwischen solchen, die stärker aufs Bewahren, und solchen, die stärker aufs Fortschreiten aus sind. In solchen Zeiten wäre ich – meinem ganzen Naturell nach – mit Sicherheit auf Seiten der mehr Vorwärtsdrängenden. Heute aber leben wir keineswegs in einer solchen Zeit. Freilich – die Kirche brauchte einen Fortschritt wie noch nie. Es herrscht ein gigantischer Nachholbedarf. Aber von Fortschritt ist rundherum keine Spur!

Im Gegenteil: Rückschritt, Abbau, Zerstörung breiten sich aus, und zwar nicht so sehr in den einzelnen sensationellen und eklatanten Exzessen, sondern im öden, ausgedehnten Alltag. Dabei – und das erinnert so beklemmend an die Romane von Franz Kafka – wird sehr viel gearbeitet; ein Ameisenheer fleißiger Arbeiter ist zugange. Kaum wurde jemals so viel theologisiert wie heute, kaum war jemals so viel Interesse an religiösen Fragen aufgewuchert aus dumpf bewußtem Hunger nach Sinngebung des Lebens – weithin nun freilich versandend entweder in koketter Unverbindlichkeit oder in quälender Verzweiflung angesichts fehlenden Absolutheitsanspruches –; kaum je wurden so kluge und unter beschränktem Gesichtspunkt erfolgreiche Methoden in der Erziehung, in der Didaktik, Gruppenführung u.s.w. mit solchem Eifer und Verstandesschärfe entwickelt. Aber allem fehlt der Hintergrund des göttlich Souveränen, Unveränderlichen, inhaltlich Bestimmten. Es wird so viel Schönes gesagt an religiösen Gedanken und innigen Gebeten, so viel Bestechendes geboten an Verhaltensweisen der Frömmigkeit – aber ohne jene Unbedingtheit, die allem erst Sinn (und es gibt nur ewigen Sinn!) und Bestand verleiht. Es fehlt die spezifisch katholische, wahrhaft befreiende Atmosphäre der heiligen Weisheit in ihrer absoluten Welt- und Zeitüberlegenheit, Konkurrenzlosigkeit, Unangreifbarkeit, Unwiderlegbarkeit, Unabhängigkeit, Leichtigkeit, Eleganz, Nonchalance, Überschau, Einordnungskraft, Witterung für das Wahre oder Falsche – Eigenschaften, die auf den übergehen, der im Heiligen Geiste von der ewigen Weisheit ergriffen wird, auf den Mündigen. (Zur Erklärung – Eleganz heißt in diesem Zusammenhang nicht die adrette Art äußerlicher Auffälligkeit, sondern die beglückende Ausstrahlung, die von dem Beglückten und tief Gesicherten ausgeht; Nonchalance heißt Unerschütterlichkeit).

Nirgends im modernistischen Karussell des Sinnlosen und Gegenstandslosen wäre zum Beispiel das Wort des Herrn unterzubringen: "Das Himmelreich leidet Gewalt. Nur die Gewalt gebrauchen, reißen es an sich!" – oder das andere Wort: "Ärgert dich dein rechtes Auge, so reiß es aus!" Wenn es aber nichts konkret Nennbares gibt – sondern nur "Stationen auf dem Weg zur(!) Wahrheit" – um dessentwillen das Ausreißen des rechten Auges oder der rechten Hand kein zu hoher Preis wäre, werde ich in der Einsamkeit der Sterbestunde ohne Trost sein. Keine noch so "lebendige Gemeinde" wird mir dann helfen. Darum, meine lieben Freunde, lasse sich niemand von Ihnen den einzigen Trost entreißen durch Lavierende und Beschwichtigende, die so "objektiv" erscheinen: "Gewiß, da ist manches durchaus zu verwerfen, aber andererseits ...". Glaubt Ihnen nicht! Sie rauben Euch den Trost! Für das, was wir vermissen, gibt es kein "andererseits"! Wer dieses "andererseits" zum Troste wählt, verliert den einzigen Trost. –

 

Nun teile ich ihnen mit, daß in der Großkundgebung am Sonntag dem 16. Oktober 1977, doch erst ein Feierliches Amt gehalten werden wird. Saalöffnung ist um 14.00 Uhr. Ich will es einrichten, daß zwischen 14.00 Uhr und 15.00 Uhr zwei stille Messen mit Kommunionausteilung gehalten werden, damit im Zusammenhang mit dem Feierlichen Amt nicht zu viel Zeit durch die heilige Kommunion beansprucht werden wird. Zunächst hatte ich vor, im relativ nahegelegenen Hattersheim heilige Messen anzubieten und die Großkundgebung ganz dem Vortragsthema zu reservieren. Aber da würden sich doch praktische Schwierigkeiten und Ungewißheiten ergeben. Sicher komme ich dem Herzenswunsch Vieler entgegen, wenn ich das Feierliche Amt halte.

Anschließend, um 16.30 Uhr, nach einer Pause von etwa 30 Minuten, beginnt die Rede. Thema, wie schon angekündigt: "Die Zukunft der katholischen Kirche". In dieser Rede, die etwa bis 18.00 Uhr dauern wird, werde ich in einer noch nicht dagewesenen Deutlichkeit hervortreten, die Lage präzise darstellen, einen äußersten Appell an die Verantwortlichen richten und vor allem die totale Wende – die mit absoluter Sicherheit kommen wird – inhaltlich beschreiben.

Und dies wird das Neue sein: Wie wird sich die eine, heilige, katholische und apostolische römische Kirche, wenn sie wieder erkennbar sein wird in ihrem eigenen Licht, entfalten müssen angesichts der Krankheit unseres nihilistischen in trunkener Verdummung befindlichen Jahrhunderts?

Ich bitte Sie inständig: Kommen Sie! Sagen Sie es weiter! Bringen Sie viele mit!

 

Unser Freund Dr. Erwin Keitzer ist am Ostermontag, dem 11. April 1977, nach einer kurzen, schweren, unerwarteten Krankheit entschlafen.

Er hat seinen Leibestod wachen Sinnes höchst gefaßt bewältigt und entsetzliche Schmerzen mit großer Tapferkeit ertragen. Sein Leben war ein leidenschaftlicher Einsatz für Christus und Seine ewige katholische Wahrheit: Als Arzt im Dienste der Menschen, als katholischer Christ im Dienste des großen, wendeverheißenden Trostes, der darin liegt, daß die Krankheit genannt und ihre Heilung versichert wird. Der Herr gebe ihm die ewige Ruhe und reihe ihn ein in die Schar der mächtigen Fürsprecher, zu denen seit September 1976 auch der große Fritz Feuling gehört! Wir sind eine siegsichere, große Gemeinschaft der Sichtbaren und Unsichtbaren: SPES UNICA! –

In tiefer Gebetsverbundenheit und in der Liebe des ewigen Gottesgeistes grüßt Sie Ihr in Christus ergebener

 

Hans Milch

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