Startseite | Menü einblenden | Übersicht: Rundbriefe | 08.02.77 | 29.05.77 |
Die folgenden Ausführungen mache ich, weil einige wenige auf meinen Rundbrief vom 8. Februar 1977 bezüglich meiner Bemerkungen über das allgemeine Gebaren der Vertreter der Kirche, der Bischöfe und Priester, die für das Erscheinungsbild der Kirche verantwortlich sind, erstaunt, befremdet und negativ reagiert haben:
1. Betr. frühere Versager des Klerus – durch die Jahrhunderte der Kirchengeschichte hin.
Einige meinen, es sei unehrerbietig, ehrfurchtslos und taktlos, solche Fehlhaltungen und Fehlleistungen zu erwähnen. "Eltern sollen ihre Differenzen nicht vor den Kindern austragen." In der Tat hat man sehr lange Zeit Kirchengeschichte gelehrt unter diesem Aspekt. Die Kirche wurde hingestellt in ihrem Erscheinungsbild als eine durch und durch heile Welt – als ob, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die Priester tieffromme, wissende, hochgelehrte, einfühlende, von der Liebe des Christus entflammte, kluge, absolut integre Männer gewesen seien, erst recht die Päpste und Bischöfe. Immer sei zur rechten Zeit das Fällige geschehen. Jahrtausendealte Weisheit habe die Kirche in all ihren Maßnahmen zum Segen von Welt und Menschheit geleitet. – Diese Darstellung ist nicht nur falsch, sondern höchst schädlich und unklug. Sie hat mit wahrer Ehrfurcht nichts zu tun! Sie gehört zu den ungünstigen Bedingungen, unter denen die Kirche ihren Weg in das 20. Jahrhundert antreten mußte, zu den Bedingungen, die dem Progressismus den Einzug in den Innenraum der Kirche aufs höchste erleichterten! – Wohlgemerkt: Ich unterscheide klar zwischen dem Wesen der Kirche und ihrem Erscheinungsbild!
Ihrem Wesen nach ist die Kirche "die Braut ohne Flecken, Runzeln und dergleichen", unangreifbar und unwiderlegbar in ihrer Wahrheit, göttlich, erlösend, bergend, erhebend, wandelnd, Heil schaffend, Ewigkeit versichernd, leuchtend in einer Kraft und Herrlichkeit: die Heilige Schrift, die sie darreicht, die Dogmen, die sie verkündet, die Geheimnisse, die sie verwaltet, die Sakramente, die sie spendet – dies ist über jeden Zweifel erhaben. – Die Bischöfe und Priester, die kraft des durch die Weihe ihrer Seele aufgeprägten unauslöschlichen Siegels tun können, was Christus tut, haben den Auftrag, durch ihre Bewährung, ihre Weisheit und ihr Gebaren das Wesen der Kirche zum Leuchten zu bringen. Ihrer menschlichen Schwäche wegen gelingt ihnen das nur mangelhaft. Dennoch gehört es zu den Wundern der Kirche, daß trotz aller Ärgernisse in einigermaßen normalen Zeitläufen dem, der guten Willens ist, die Kirche in ihrer Wesenhaftigkeit erstrahlt.
Welch ein Verbrechen aber begehe ich gerade an den einfachen Seelen, wenn ich so tue, als sei in jedem Falle das Erscheinungsbild der Kirche mit ihrem Wesen identisch! Schon kleinen Kindern gegenüber kann ich die ehrfurchtgebietende Würde der Eltern nur retten dadurch, daß ich ihre menschlichen Fehler und Schwächen eingestehe! Sie werden in den Eltern tief und grundsätzlich irre, wenn ich sie in dem Glauben lassen will, alles an den Eltern sei richtig und jede ihrer Haltungen und Taten seien in jedem Falle als vorbildlich und richtig anzusehen. Ich stürze dadurch die Kinder in die tiefsten Gewissenskonflikte. Um das Wesen der Kirche in den Geistern der Menschen bewußt zu halten, muß ich in unentrinnbarer Pflichtnotwendigkeit die Fehler ihrer Vertreter nennen, um die Mängel in ihrem Erscheinungsbild zu erklären! –
Und wenn das einfachen Seelen gegenüber unabdingbar notwendig ist, erst recht dann gegenüber den mündigen, und daß uns das Sakrament der Firmung zur Mündigkeit befähigt und damit verpflichtet, daran darf es keinen Zweifel geben. – Die Vergehen der Vergangenheit mußte ich gestehen, weil die Progressisten bzw. ihre beschwichtigenden Helfershelfer immer wieder darauf hinweisen, es habe doch "schon immer in der Kirche Krisen gegeben". Den wesentlichen Unterschied zwischen früheren und dem heutigen Ärgernis mußte ich deutlich machen und absolut den Eindruck vermeiden, ich sähe die früheren Dinge "zu rosig". –
Ich gehöre noch zu den Wenigen, zu denen Menschen kommen, um Konvertitenunterricht zu erhalten. Immer wieder – durchschnittlich zweimal im Jahr – führe ich Menschen in die heilige Kirche. Denken Sie vielleicht, ich könnte diese Menschen in ihrer Liebe zur Kirche erhalten und entflammen, wenn ich ihnen nicht deutlich sagen würde: "Dies ist nicht das Wesen der Kirche, was Sie heute sehen. Heute versagen die bestellten Wächter!"?! Wahrhaftig – ich bin nicht "gegen" Papst und Bischöfe, wenn ich ihre Versager deklariere! Im Gegenteil – erst dadurch bin ich im höchsten Maße für sie!!
2. Nirgends hahe ich aufgefordert, "gegen das Konzil" zu sein. Das wäre eine zu pauschale Ausdrucksweise. Es muß nur gewußt werden, daß absichtlich mißverständliche, zwielichtige Texte, Formulierungen und Wendungen eingeschleust worden sind von gewisser Seite, die es darauf angelegt hatte, das Konzil zu einem Fanal antikatholischer, weltimmanentistischer Offensive in den Innenraum der Kirche zu machen. Das Konzil ist gegenüber der progressistischen Katastrophe kein unschuldiges Neutrum.
Hans Milch, Pfarrer