Sonntagsbrief vom 1. März 1981
Meine lieben Brüder und Schwestern!
Zum Beispiel hatte ich damit gerechnet, daß mir das Wort des Herrn entgegengehalten wird: "Denen ihr die Sünden behaltet, denen sind sie behalten!"
Wenn aber die Sünden schon vor und nach dem unmittelbaren Empfang des Bußsakramentes vergeben werden können, wie kann dann der Beichtvater einem die Sünden "behalten", also die Lossprechung verweigern? Wenn er die Lossprechung verweigert, weil offensichtlich weder Reue noch Vorsatz gegeben sind, hat das selbstverständlich nichts zu sagen, weil in diesem Falle auch die Lossprechungsworte wirkungslos wären.
Aber wir kennen durchaus Lossprechungs-Verweigerungen trotz vorliegender Reue, trotz Vorsatz. Der heilige Pfarrer von Ars zum Beispiel hat sehr oft – aus heilspädagogischen Gründen – die Lossprechung vorerst verweigert und unter bestimmten Bedingungen hinausgeschoben. Wie kann da die Vergebung der Sünden schon vor und außerhalb des unmittelbaren Lossprechungsempfanges sich ereignen?
(Meine Freunde! Fragen Sie! Tauschen Sie untereinander keine 'theologischen' Meinungen aus, ohne mich zuzuziehen! Das führt zu nichts!)
Wie heißt die Antwort?
"Denen Ihr sie behaltet, denen sind sie behalten!" – das heißt:
1.) "Ihr habt mit göttlicher Zuständigkeit darüber zu befinden, ob jemand in der Lage ist, Erbarmen zu empfangen oder nicht!" Unfähig, das Erbarmen zu empfangen, ist der, dem die eigene Sünde wichtiger ist als das Erbarmen, dem es also an Reue und Vorsatz gebricht. Darüber zu befinden, ist des Priesters, sofern er als Christus = Priester handelt.
2.) Das Verweigern der Lossprechung aus heilspädagogischen Gründen heißt keineswegs, daß der Poenitent (= Beichtkind) in seinen Sünden belassen wird, sondern daß die im Augenblick der Lossprechung erteilte Gnaden-Fülle vorläufig ihm vorenthalten wird und daß er daher nach heilsdisziplinärer Vorschrift bis zur Lossprechung nicht kommunizieren darf. –
Mit einer solchen Lossprechungsverweigerung darf kein Priester willkürlich umgehen, normalerweise überhaupt nicht. Ein Priester von der Gewalt und Heiligkeit eines Pfarrers von Ars war dazu imstande und kraft besonderer Erleuchtung berechtigt. Er konnte auch einem – scheinbar – im Grunde Gutwilligen, der wähnte, guten Willens zu sein, und von dem es auch ein durchschnittlicher Beichtvater angenommen hätte, sagen: "Mein Freund! Sie sind verdammt!"
Das schlug ein, so daß der Betreffende konnte, was er sonst nie geschafft hätte: seine Gewohnheitssünde sofort aufzugeben. Sein guter Wille ward geweckt!
Es gibt leider geistig sehr unreife Beichtväter, die nach der Lektüre z.B. des Buches von Francis Trochu über den heiligen Jean Vianney (Pfarrer von Ars) meinen, sie dürften ihn kopieren. Die Heiligen sind nicht zum Kopieren da, worin sich kindische Seelen oft ihre unbewußten Kaspereien und Komödien leisten (Geißelungen etc. Im Roman von Bernanos "Die begnadete Angst" läßt der Autor die Magistra zur neu eingetretenen Nonne sagen das herrliche Wort: "Lassen Sie übertriebene Bußübungen! Wir sollen Gott dienen, aber keine Komödie vor ihm spielen!"), sondern ihr Vorbild ist Impuls und Ansporn zu gleicher Begeisterung. In ihr besteht die Heiligkeit, die sich bei jedem in eigener, individueller, unverwechselbarer und unnachahmbarer Weise entfaltet. —
Lassen Sie mich nun zu etwas anderem, das mißverständlich sein könnte, mich äußern! Sie wissen, welchen Wert ich darauf lege, einzuschärfen, daß die Werke der großen Meister nicht etwa nur für Akademiker geschaffen wurden, sondern grundsätzlich für alle. – Andererseits betonte ich kürzlich: Es ist nicht alles für alle da! – Was stimmt nun? Beides. – Es gibt selbstverständlich Menschen, in denen die wahrhaft geistige Aufnahmefähigkeit so verschüttet ist, daß es vergebene Liebesmühe wäre, sie wecken zu wollen. Freilich gehören zu dieser – vielleicht verstandesmäßig hochbegabten – ungeistigen Sorte Menschen Angehörige aller sogenannten "Bildungsschichten" und umgekehrt. Man kann nicht Omnibusse voll Menschen einfach zu den Festspielen von Salzburg oder Bayreuth schleifen. Das ist Irrsinn. Ebenso falsch ist die Vorstellung, nur besondere "Standespersonen" gehörten ins Theater, in die Kunstausstellung oder ins Konzert. –
Von Herzen – Ihr priesterlicher Freund Hans Milch.
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