Schild der actio spes unica
actio spes unica Pfarrer Milch St. Athanasius Bildungswerk Aktuell

Sonntagsbrief vom 12. Mai 1985

Meine lieben Brüder und Schwestern!

 

Die Bösartigkeit eines Systems liegt nicht am Manne, der im Sinne und im Auftrag des Systems die Macht hat, es zu verwirklichen, sondern im System selbst.

Der Nationalsozialismus war nicht böse wegen der Person Hitlers und seines Charakters, sondern aus sich selber. Der verbrecherische Charakter eines Systems besteht nicht in der Summe konkreter Verbrechen, sondern im System selbst.

Der Nationalsozialismus war ein kriminelles Unternehmen, weil er darauf aus war, die Menschheit im kollektiven Sinne zu bessern. Jedes Unternehmen der kollektiven Menschheitsverbesserung ist in sich verbrecherisch. Warum? Weil zur Durchsetzung einer besseren Welt und Menschheit ein Programm erstellt werden muß. Ganz gleich wie dieses Programm aussieht: weil es um die Besserung der Menschen geht in ihrer Summe, müssen alle Menschen sich diesem Programm mit Geist und Tat anschließen. Eigenvorstellungen, Gewissensfreiheit, Aufbau seines Privatlebens nach eigenen Maßstäben, Erziehung der Kinder im Sinne selbständig erworbener Erkenntnis, Gestaltung der Freizeit, Recht auf Freizeit, freie Wahl des Urlaubsortes – all dies ist im Rahmen einer auf allgemeine Menschheitsverbesserung angelegten Gesellschaftsordnung unmöglich. Und darin liegt das Verbrecherische der weltverbesserischen Systeme. Schon der Gedanke an einen allgemeinen humanen Fortschritt ist der Keim aller denkbaren Verbrechen. Wer die Menschheit verbessern will, muß logisch-notwendigerweise zum Mörder werden. – Der Nationalsozialismus wäre auch verbrecherisch gewesen, wenn kein einziger Jude umgebracht worden wäre. Die Zerstörung des Privatlebens ist der Mord. Ob das System der allgemeinen Weltverbesserung, welches den ganzen Menschen einfordert und daher totalitär genannt wird, braun oder rot ist, macht fast keinen Unterschied. (Jedes totalitäre Regime ist Diktatur; aber nicht jede Diktatur ist totalitär.)

Diktatur heißt: der Bürger darf und soll nach eigenem Geschmack sein Privatleben gestalten, aber auf die Politik hat er keinen Einfluß zu nehmen.

Totalitär heißt: Der Bürger hat kein Privatleben zu führen, sondern muß sich vereinnahmen lassen für den totalen Einsatz im Sinne des Systems.

Die Fernsehkommentatoren haben mal wieder das ganze Panorama ihrer Dummheit in diesen Tagen vor uns ausgebreitet. Zudem haben sie in der gemeinsten Weise denunziert alle die Vielen, welche um ihrer Karriere willen Parteigenossen waren und ihrer Leistungen wegen von Hitler oder Goebbels einen herzlichen Händedruck erhielten. Man muß schon Held sein, um nach einem totalitären Regime sagen zu können: "Ich habe nicht mitgemacht!" Arm hoch, wer sagen kann: "Ich hätte unter keinen Umständen mitgemacht! Ich wäre nie in die Partei gegangen! Lieber wäre ich im Konzentrationslager gelandet!" Die Geschwister Scholl mit den Angehörigen der "Weißen Rose" – das waren die Helden unter Wenigen. Schuld hat ganz Europa. Die Engländer etc. wußten längst, daß schon Millionen Deutscher im KZ waren, und schüttelten Hitler herzlich die Hand. Und der Widerstand war nirgends größer als in Deutschland. –

 

Es segnet Sie  Ihr Pfarrer Hans Milch.

Schlüsselbegriffe ?
   
Nationalsozialismus
   
Fortschrittssysteme
|< Übersicht: Sonntagsbriefe
Weiter: Sonntagsbrief vom 13. Oktober 1985 >

Hilfe  •  Suche  •  Was ist neu?  •  Sitemap  •  Impressum  •  Tastatur  •  Konfiguration  •  Webmaster