Startseite | Menü einblenden | Übersicht: Sonntagsbriefe | 05.09.76 | 03.07.77 |
Meine lieben Brüder und Schwestern!
Je deutlicher, unmißverständlicher, intensiver der erlösende Anspruch des Christus gepredigt wird, desto schärfer scheiden sich die Geister. Wer nur unverbindlich-anheimelnd, "erbaulich"-gefühlvoll von der Kanzel redet, wird wohlwollend-gerührte Hörer finden, die angetan sind von soviel scheinbarer Wärme des Herzens. Scheinbare Herzenswärme, sage ich. Denn die wahre Liebe in ihrer Glut spricht nicht so schonend und bequem. Die Rede des Christus und die Rede von Christus (was das Gleiche ist, denn Christus predigt Christus) ist lodernd-erhellendes Feuer und zwingt zur äußersten Entscheidung. Solche Rede ist ein Gericht – je unentrinnbarer das unbedingte Erbarmen sich darstellt, desto stärker wird es zum Gericht. An der Christus-Botschaft entzündet sich Entzweiung: "Das Wort des Herrn ist wie ein zweischneidiges Schwert!" – "Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert!" Die einen sind beglückt, ihr Dasein dreingeben zu dürfen, um alles auf die eine Karte zu setzen, die Christus heißt. (Andere sind noch traurig im ehrlichen Eingeständnis: "Ich bin noch nicht so weit. Ich kann die totale Antwort noch nicht vollziehen.") Die anderen aber merken sehr wohl, daß die Predigt sie schutzlos notwendiger Entscheidung ausliefert, alle ihre Selbsttäuschungen und Selbstbeschwichtigungen entlarvt und durchstößt, daß es – ganz gegen ihre bisherige Annahme – durchaus nicht genügt, regelmäßig "religiöse Pflichten" zu erfüllen, daß sie ganz und gar nicht längst "wissen, wo sie hingehören", daß dies "hingehören" ihnen erst aufgehen muß im leidenschaftlichen Hinblick zu den Inhalten, daß in ihnen erst die Sehnsucht aufflammen muß, endlich zu beginnen – in wahrer Kindhaftigkeit und, was das Gleiche ist, Mündigkeit. Sie merken es wohl, aber sie wollen es nicht wahrhaben. Ihre Reaktion ist nicht beglückte Annahme eines neuen, höheren, vorwärtsdrängenden Daseins (was ganz das Gegenteil ist von spießerhaftem Mittrotten in einem eingebildeten "Fortschritt"), nicht das traurige Eingeständnis: "Ich finde noch nicht die Kehre!", sondern tiefes, haßerfülltes Beleidigtsein, weil ihnen ihr dumpfes, seichtes "Selbstbewußtsein" (das keines ist) genommen wird. Das Angebot des eigentlichen, echten, göttlichen Selbstbewußtseins in Seinem Erbarmen lassen sie verbissen und primitiv-trotzig links liegen. Um Angebote, die Weisheit zu erlernen und das Feuer anzünden zu lassen, scheren sie sich nicht.
Nun suchen sie in selbstverräterischem Eifer nach Argumenten, um aus dem Schneider zu kommen. Sie wollen dem Unentrinnbaren entrinnen, sie wollen der Entscheidung ausweichen. Sie können es nicht. Ihre Lage ist gefährlich. Sie sagen in der Tat nein. Aber noch wollen sie's sich selber nicht eingestehen, daß sie nein sagen. Sie halten Umschau nach links und rechts, nach vorne und hinten, in die Waagrechte hinein, weil ihnen die Senkrechte gar so ungelegen kommt. Ein Königreich für ein Argument gegen den Prediger!!! Gewiß, er hat wirklich seine Fehler. Aber die genügen nicht. Willkommen, hochwillkommen jeder, der etwas gegen ihn einzuwenden hat. "Und seht doch, andere sind viel netter, viel 'menschlicher'. Da findet man Trost und fühlt sich so 'erbaut'." –
Zwar könnte man alles klären – Auge in Auge. Aber gerade das darf ja nicht sein. Das würde doch den ganzen Spaß verderben. Jeder Gaul, der gegen den unbequemen Verkünder reitet, kommt in den Stall und wird gehegt und gepflegt. –
Wahre Erbauung wollen diese "kritischen" Geister gar nicht, die auch von wahrer Kritik keine blasse Ahnung haben. Denn Erbauung ist kein Dampfbad in Sentimentalitäten, sondern Wachstum des Geistes an Wissen und Wollen. – Alles muß herhalten, wenn's nur in die gewünschte Angriffsrichtung geht. Auf einmal ist sogar die "Sorge um Gottes Reich und Gottes Wahrheit" zur Stelle. Hundert und aberhundert echte Gelegenheiten im Zeichen dieser Sorge – die zunächst immer eine brennende Sorge um die eigene Vervollkommnung sein wird – hat man nicht beachtet. Aber auf einmal, wenn's in den zweifelhaften Kram paßt, ist sie da! Seit über einem Jahrzehnt wird ringsum – zur namenlosen Trauer aller Wissenden – das spezifisch Katholische abgebaut, entstellt, verfälscht. Da schlief und schläft die Sorge. Verwirrung rast seit Jahren wie ein Waldbrand. Es kratzte keine Not, zu löschen. Aber plötzlich – zu jenem bösen Zwecke – bricht ein Jammern Über "Verwirrung" an, wo keine ist. – Beten wir schweigend für solche Gefährdeten und Verwirrten! –
Von Herzen grüßt Euch alle Euer Pfarrer Hans Milch.