Startseite | Menü einblenden | Übersicht: Sonntagsbriefe | 04.01.81 | 01.03.81 |
Meine lieben Brüder und Schwestern!
Es geht hier darum, die geistige Erfahrung des Erlöstseins darzustellen.
"Wir sind erlöst!" – das antworten schon die kleinen Kinder brav auf der Schulbank, wenn sie gefragt werden, was Christus, der menschgewordene Gott, in uns erwirkt hat. Aber "Erlöstsein" – das heißt doch: aufatmen, befreit sein, in den Ruf ausbrechen können "endlich!"
Und dieses Bewußtsein – geben wir's zu – ist selten.
"Erlösung" ist bei sehr vielen, auch bei solchen, die es sehr ernst nehmen wollen, eine mehr abstrakte, im Gehorsam angenommene, aber nicht erlebte Glaubenswahrheit. Wenn ich sehe, wie sich so manche eifrige katholische Christen quälen mit dem beständigen Denken an "Sünde, Sünde und noch einmal Sünde", dann werde ich oft sehr traurig – um der allzu Traurigen willen. Sie sind zwar in der Tiefe ihrer Seele und ihres Seins vom Lichte des göttlichen Lebens erfüllt und werden über alle Maßen von Christus geliebt, aber sie bekommen diese ihre objektive Herrlichkeit nicht ins subjektive Bewußtsein, nicht zu Gesicht und vor das wache Geistesauge. Sie werden nur von Angst gemartert, und auch ihre Erziehung wird geradezu heimgesucht, gejagt und verfolgt von dem Gedanken: "Alles, nur keine Sünde!" –
Sie übersehen, daß der Mensch in dem Maße und nur in dem Maße von der Sünde loskommt, wie in ihm die Freude des Geistes waltet. –
Und diese Freude mitzuteilen, ist A und O und Inbegriff der religiösen Erziehung – Weckung eines völlig neuen Selbstbewußtseins, eines demütig vollzogenen, gnadenhaft erwirkten, zu höchster Höhe geführten Selbstbewußtseins, das darin besteht, zu wissen: GOTT SELBST hat mich angenommen, Sein Blut für MICH vergossen, wirbt um meine Freundschaft in voller Freiheit, versteht mich bis ins Letzte und liebt mich mit unendlicher Selbsthingabe! Liebt mich so, wie ich bin, macht Seine Liebe nicht abhängig von meinem Wohlverhalten. Und an mir wird diese Seine Liebe wirksames Ereignis, wenn ich und in dem Maße wie ich diese Liebe ernsthaft will. Und nur dies muß, darf ich: wollen!
Der Mensch wächst heran, blüht auf mit allen Feuern seiner Jugend, mit dem heftig erwachenden Eros des Geistes und der Sinne.
Was kann ihm die Erlösung bedeuten, wenn sie ihm nur erscheint in der Gestalt von Riegeln, Sperren, Mauern und Verboten?! Oder mit dem faden, dümmlichen Hinweis, er solle doch "zufrieden" sein?! Gar nichts. Das ganze Christentum wird ihm zum Inbegriff der Lebenshemmung. Wo es anfängt, schön und erquickend und genußbringend zu werden, begegnet ihm die Religion mit erhobenem Zeigefinger und mit dem Hinweis auf "Sünde, Sünde und noch einmal Sünde".
Bei sehr vielen Männern hat diese Erfahrung – und das ist eine jahrhundertealte Geschichte – dazu geführt, daß sie zwar aus einem dunklen Drange heraus auf die Kirche mit ihrer ehemals so schönen Liturgie nicht ganz verzichten wollen und dabei – das ist eine besonders eigentümliche Groteske – vor allem an die kirchliche Beerdigung denken, dies aber um die Ecke eines resignierten Verharrens in der Sünde, vor allem in der üblichen, streng geheim gehaltenen, aber scheinbar unvermeidlichen Sünde gegen das sechste Gebot. Resigniert, sage ich. Denn von ihrer ganzen daseinsmäßigen Voraussetzung her können sie die Sünde gar nicht lassen, sollen sie aber lassen – und so haben sie sich auf die Dauer mit einem gewissen treuen, aber wenig belebenden und wenig Freude bringenden Schema des Minimalismus abgefunden, das in mancherlei törichten Slogans wie "Ich bin kein Fanatiker, aber ich halte zur Kirche; ich halte – 'tief innerlich!' – zum Glauben" niederschlägt.
Das alles wäre zu vermeiden gewesen bei einer sinnvolleren Erziehung und Belehrung.
Dem jungen Menschen, dessen blühender und glühender Eros ja eine einzige FRAGE ist, die nach Antwort schreit, muß die Botschaft und Wirklichkeit des CHRISTUS zu einer ANTWORT werden, die ihn zutiefst beglückt, erhebt, bestätigt, zu Tat und Liebe antreibt. Erst vor diesem Hintergrund kann die Sünde überwunden werden – aus der höheren, erfahrenen FREUDE heraus.
Es grüßt Euch alle von Herzen
Euer priesterlicher Freund Hans Milch.