Startseite | Menü einblenden | Übersicht: Sonntagsbriefe | 30.01.83 | 04.09.83 |
Meine lieben Brüder und Schwestern!
Das hat doch einige sehr unangenehm berührt: "Wie? Mit Gott hadern? Soll man denn nicht alles ergeben aus Gottes gütiger Hand entgegennehmen?" –
Wissen Sie – alles, was ich sage und schreibe, mündet in das Eine: Sei und bleibe redlich – zu Dir und zu Gott! Nehmen wir ein Beispiel unter Millionen: Es geht einem Manne wie den vielen Hiobs in der Welt. Er wird querschnittgelähmt; mit seiner sportlichen Karriere ist es zu Ende, seine Frau verläßt ihn und nimmt die Kinder mit. Die alten Freunde kommen nur noch selten. Ein 'gemeinschafts'-geprägtes "Rehabilitationszentrum" nimmt sich seiner an. Viele nette Menschen, gewiß. Viel Ablenkung, Versehrtensport, um ihm sein Selbstvertrauen wiederzugeben. Aber – wo ist seine Frau, an deren Liebe er geglaubt?! Wo sind die Kinder, die jetzt einen neuen und gesunden Pappi haben?! (Kein Zweifel – in den Zentren steckt sehr viel Aufopferung, Selbstverleugnung und Idealismus. Aber wer könnte beim Anblick solcher propagandistisch so perfekt herausgestellter Rehabilitationszentren und der Betreuung schwer verletzter Menschen das Gran der Selbstgefälligkeit übersehen, das eben auch das Gebaren der Betreuer und Betreuerinnen kennzeichnet? Wer ahnt etwas von dem Grauen in der Seelentiefe des je Einzelnen, das von arrangierter "Fröhlichkeit" nur mühsam und krampfhaft überdeckt wird! Es müßte einen ein furchtbares Mitleiden – nicht 'Mitleid' – packen! Und ich finde es mehr als makaber und die Grenze der Schamhaftigkeit gewaltig überschreitend, wenn das Entsetzen in so verharmloster Weise feilgeboten wird. Man sitzt dabei, raucht seine Zigarette, trinkt sein Bier und konstatiert halb gelangweilt: "Wie schön, daß da so viel für diese Menschen getan wird!" Das ist widerlich!). Und nun sagen Sie einmal so einem geschlagenen Menschen: "Du mußt das alles aus Gottes gütiger Vaterhand entgegennehmen! Was Gott tut, das ist wohlgetan!" Ich kannte tief fromme – jawohl, im Ernst tief fromme – Menschen, die unter unvorstellbaren Dauerqualen ausriefen: "Gott ist ein Ungeheuer, daß er dies mit ansehen kann!!!" Das beleidigt 'fromme Öhrchen'.
Aber diese frommen Öhrchen haben keine von Mitleiden durchfurchte Seele; ihr Antlitz hat nicht die wissende Ausstrahlung, die schweigend mit dem Entsetzen vertraut ist, welches diese Welt durchsetzt und belagert. So paar 'Mitleids'-tränchen, so paar rührselig anheimelnde Sentimentälchen lassen ihr Gesicht oberflächlich und glatt. (Sentimentalität und Mitleid – statt Mitleiden! – sind Todfeinde der christlichen Nächstenliebe!) – Nein – einem kleinen Kinde schon muß mit eindringlicher Deutlichkeit gesagt werden: "Das Leiden kommt niemals von Gott!"
Gott schlägt nicht drein und schafft kein Strafgericht. Er läßt nur freie Hand dem Fürsten dieser Welt und denen, die sich von IHM, dem all-einigen Gott, dem menschgewordenen, abkehren. Die 'Strafe' als solche schafft sich der Mensch, der abtrünnige.
Wie aber ist es mit dem, der in Christus leben will?! Warum muß er so vieles leiden, so viel Verzweiflung, unverdiente Schande ertragen?! Die Antwort gibt einzig das Kreuz.
Es ist GOTT selbst, der leidet.
GOTT selbst klagt und schreit: "Mein Gott! Mein Gott! Warum hast Du mich verlassen???!!!"
GOTT selbst erleidet die Gottesferne!
GOTT selbst erleidet Schmach und Schande und Verzweiflung und unsagbare Not – mit hellwachen Sinnen, mit unendlichfach empfindsamen Nervenenden jeden Bruchteil jeder Sekunde; er erleidet also Jahrtausende. Er wird – eine zusätzliche Spezialität zum allgemein üblichen Kreuzestod, den die Geschlagenen nur gefesselt erleiden – an den Schandgalgen genagelt, der zum Siegeszeichen wird.
Gott hat uns nicht vom ungerechten Leiden erlöst.
Er hat das ungerechte Leiden erlöst und vergöttlicht.
Das Leiden ist göttlich, nicht weil Gott es schickt (Er schickt es nicht), sondern weil Er's selbst zutiefst erleidet!! Nur dem Redlichen kann diese Antwort gesagt werden.
Herzlichst Ihr Hans Milch, sacerdos.