Startseite Menü einblenden Übersicht: Sonntagsbriefe 06.02.83 11.12.83 Drucken
Schild der actio spes unica

Meine lieben Brüder und Schwestern!

 

Kindererziehung. Ein umfängliches und schweres Thema – schwer im Theoretischen, unendlich schwer im Praktischen. Einige grundlegende Gedanken:

Ein Prediger sagte einmal: "Man soll seine Kinder lieben; aber sie dürfen es nicht merken." Der Hochwürdige Herr sprach da selbstverständlich hochgradigen Unsinn. Es muß umgekehrt heißen: "Man soll streng sein zu seinen Kindern; aber sie müssen die Liebe spüren, die hinter dieser Strenge steckt."

Ohne Strenge geht es nicht. Ich wiederhole, was ich des öfteren schon wiederholt habe: "Mit-Leiden – ja! Mitleiden ist groß, heilig, ein schwerer Opferdienst freiester, selbstloser Liebe, welche nur der vollziehen kann, der seiner selbst sicher ist in IHM. Selbstlos kann nur sein, wer seines Selbstbesitzes gewiß ist. Sich-hinein-versetzen in den anderen! Frei sein von törichtem Beleidigt-sein und sich bemühen, in den anderen hineinzuschlüpfen, von sich selber wegzudenken! – Etwas ganz anderes ist das 'Mitleid'. Das ist ein sehr schlechter Ratgeber. Mitleiden ist Kraft und Geist. Mitleid ist Schwäche, die zur Torheit verführt."

Ich kenne eine Mutter, die nicht sehen kann, wenn ihr Kind weint. Entsprechend verwöhnt sie's. Ihr Mitleid ist objektiv eine große Grausamkeit an der Seele des Kindes.

Strenge in ihrem selbstverständlichen Mindestmaß heißt zum Beispiel: Kein Fernsehen für Kinder! Und wenn ausnahmsweise ein Kind mal eine Sendung sehen darf, dann muß sie anschließend mit dem Kind besprochen, aufgearbeitet, Fragen beantwortet werden. Das darf nur ganz selten der Fall sein. – Notwendig ist das Bestehen auf langem Schlaf. Unnachsichtigkeit beim frühen Wecken. Unnachsichtigkeit im Abverlangen konzentrierter Aufgabenbewältigung. Strenge gegen sich selbst im Bemühen, auf das Kind einzugehen, zuzuhören, wenn es erzählt, mit ihm den Tag besprechen und seine Nöte und Schwierigkeiten in zärtlicher Geduld anhören und tröstend und einleuchtend beantworten. Das erfordert höchste Selbstdisziplin seitens der Eltern. Das mit der "sorglosen Kinderzeit" ist ein schlechtes und dummes Märchen. "Die haben noch keine Sorgen!", hört man oft faseln. Welch ein Irrtum!! –

Wie aber ist es mit der religiösen Erziehung?

Sie fängt an beim ganz kleinen Kind. Nicht dadurch, daß man ihm von morgens bis abends vom "lieben Heiland" erzählt und es in die Kirche zwingt, wo es Marterqualen erduldet – von Ausnahmefällen seelischer Dauerfähigkeit geduldigen Staunens abgesehen. Diese Art 'Strenge' ist im höchsten Maße unangebracht.

Die wahre religiöse Kindererziehung ist die Pflege und Weckung des Höchsten, was ein Mensch besitzen kann: des Staunens! Es fängt an mit dem Erzählen wahrer Märchen (Brüder Grimm), mit der Erzeugung heiliger Spannung angesichts des häuslichen Heiligabends. Von daher das Kind behutsam zu Gott führen und es lehren, alle seine Erlebnisse IHM zu berichten. So mit dem Kinde sinnvoll beten. Kein falsches Gottesbild suggerieren – etwa in der Art: "Siehst Du, Du warst frech, und jetzt bist Du hingefallen. So hat Dich Gott bestraft!" Solch ein Unsinn ist tödlich möglicherweise. Er kann jegliche Religiosität für alle Zukunft verderben oder madig machen. – Und nachdem man immer mal wieder – ja nicht dauernd!!! – dem Kinde mehr und mehr von Gott und Christus erzählt hat, wird man eines Tages in ihm heilige Neugierde erzeugen: Da ist das Höchste zwischen Himmel und Erden und im Himmel und auf Erden. Jesus opfert sich für Dich! Und so erzählt man langsam mehr und mehr vom heiligen Opfer der Messe und macht das Kind gespannt: "Nein! Jetzt darfst und kannst Du da noch nicht mit!" Und so langsam, erst von Mal zu Mal und endlich dauernd mit dem Kinde, neben ihm sitzend und ihm zuraunend, die Herrlichkeit der heiligen Messe besuchen! Nicht die Messe kindgemäß machen, sondern das Kind langsam messe-gemäß!

So lauten die Grundsätze wahrer Erziehung.

 

Herzlichst segnet Sie alle – Ihr priesterlicher Freund Hans Milch.