Startseite Menü einblenden Übersicht: Predigten Vorige Nächste Drucken
Niederschrift der Predigt von Pfarrer Hans Milch
Vorabendmesse zum Sonntag Septuagesima 1980
Schild der actio spes unica

Meine lieben Brüder und Schwestern,

 

selbstverständlich stößt uns das auf. Unser Gerechtigkeitsgefühl, zunächst einmal, wehrt sich mit denen, die "des Tages Last und Hitze" getragen haben, wehrt sich mit ihnen dagegen, daß sie genauso bezahlt werden wie diejenigen, die gerade mal noch so in der Abendkühle, nachdem die Hauptsache geschafft ist, ein bißchen machen. Die bekommen dann dasselbe. In diesem Zusammenhang hätten wir wahrscheinlich auch gemurrt, mindestens innerlich, wegen der Ungerechtigkeit. Zwar ist uns nichts Besseres versprochen worden, aber wir wollen doch Verhältnismäßigkeit sehen.

Aber wie ist das nun im Gottesreiche? Wie ist das mit denen, die "des Tages Last und Hitze" tragen von früh an, also mit Christus arbeiten? Denn "mit Christus arbeiten", d.h. nicht nur seine Pflicht tun, die einem die Stunde auferlegt im Beruf, in der Familie, anständig leben, die Gebote halten – das ist auch schon etwas und gehört selbstverständlich dazu –, aber wer in Christus lebt, im Christusbewußtsein lebt, der hat allerlei Nüsse zu knacken, der leidet mit Christus, der leidet mit der Welt, dem geht alles viel mehr nahe als denen, die nicht in und mit Christus leben. Die mit Christus sind, sind verantwortlich und wissen sich verantwortlich für das, was sich rundum begibt. Sie leiden viel stärker darunter, daß die allermeisten Menschen so daherplätschern und ihr Dasein seicht vergeuden wie ein Geschwätz. Denn wer für die Ehre des Vaters in Christus entbrannt ist, dem fällt es schwer, die zu lieben, die an dieser Ehre des Vaters vorbeigehen, wie eben die meisten es tun. Sie leben einfach nur so, sind vielleicht ganz sympathisch. Aber dem, der tiefer gesehen hat – und wer auf Christus sich einläßt, dem wird es nicht erspart, tiefer zu sehen –, dem fällt es dann ganz gewaltig auf die Nerven, wenn man so das seichte Gehabe der Allermeisten feststellt! Es geht einem gegen den Strich und gegen den Geschmack! Man wird dann sehr leicht – und das ist eine Versuchung – der Vielen überdrüssig, und man kann das Wort Nietzsches, das lieblose Wort, von den "viel zu Vielen" verstehen. Dann sieht man das Gewimmel und betrachtet sich so die Existenzen und sieht: Na also im Grunde die gleiche Melodie in verschiedenen Variationen, wie gehabt, so schlecht und recht. Man kann geradezu so vorausberechnen, wie sich die einzelnen verhalten. Da haben sie mal die Phase, dann kommt die Phase und jene Phase. Und alle sind sie mehr oder weniger Produkte der Vererbung, der kosmischen Einflüsse im Augenblick der Empfängis, des Milieus, der Erziehung, der Vorurteile. Und man fragt sich, ist der Mensch wirklich nur dieses Produkt? Wir werden im Laufe der Vorfasten- und Fastenzeit dem mal ganz gewaltig nachgehen! Man kann dann außerordentlich in Gefahr der Lieblosigkeit und der Menschenverachtung kommen. Wer die Menschen kennt, ihr Dasein beobachtet, kommt durch diese Versuchung der Menschenverachtung hindurch. Und die christliche Liebe muß durch das Fegfeuer der Versuchung der Menschenverachtung hindurch, um die Menschen wirklich in allem wahrhaft lieben zu können. Und das ist z.B. "des Tages Last und Hitze". Wer sich auf Christus einläßt, der hat Kernerarbeit, seelische, geistige Kernerarbeit der Liebe zu vollbringen!

Da haben es die anderen relativ gut. Die haben selbstverständlich auch ihre Sorgen, ihre Nöte, ihre Last, aber im wesentlichen plätschern sie in ihrem Trott, haben um siebzehn Uhr ihren Feierabend und dann interessieren sie sich nur noch, ob sie einigermaßen über die Runden kommen – aus und Schluß! Wer mal Christus gerochen hat, mit Christus in Kontakt gekommen ist, der kann nicht mehr einfach nur so dahergehen! Aber gerade dieses harte Leben, die Last und Hitze der Liebe für jeden Menschen – jeden! –, davon sind wir nicht dispensiert, das ist sehr hart. Jeden lieben, für jeden das Allerbeste unbedingt wollen, wohlwollenden Sinnes, hellen Sinnes, einfühlend, verstehend, darauf erpicht, sich in den anderen hineinzuversetzen usw. – das ist sehr hart! –, der dies tut, der wird aber bald dahinterkommen, daß es auch herrlich ist, daß man dadurch eine große Macht hat. Und wer es spät merkt, dem tut es leid, daß ihm soviele Jahre entgangen sind. Die also "des Tages Last und Hitze" getragen haben, die es kapiert haben, die freuen sich darüber und sagen am Schluß: "Es war ein gefülltes Leben, voller Kämpfe, voller Niederlagen. Ja, es waren mehr Niederlagen als Siege, aber ich bin immer wieder aufgestanden nach jeder Niederlage, und deshalb war letztlich auch die Niederlage ein Sieg. Und in der Schwachheit ist die Kraft Gottes zur Vollendung gekommen." Das ist ein aufgeregtes, ein aufgewühltes Dasein in und mit Christus, ein ständiger Neubeginn, eine ständige Verjüngung. Und am Schluß muß man sagen: Es war herrlich! Gott sei Dank!

Und schon der Rückblick in der Ewigkeit, daß wir in und mit Christus versucht haben den steilen Pfad zu gehen der Bewältigung unserer Sünden – und erst wer in das Licht Christi geschaut hat, merkt ja überhaupt erst das ganze Ausmaß seiner Sündhaftigkeit. Nicht daß er ängstlich sich fragt, ob dieses jetzt eine Sünde, jenes jetzt eine Sünde war – das ist Unsinn! –, sondern er merkt, daß er in seinem Grundbefinden ein Sünder ist; und er ist dauernd im Krieg gegen sich selber. Aber er wird im Grunde nicht neidisch sein, höchstens in ganz schwachen Augenblicken geistiger Dummheit, er wird nicht neidisch sein auf die anderen, die eben all diese Kämpfe, diese inneren Auseinandersetzungen, diese Spaltung, diese Zerissenheit nicht kennen, diese Zerissenheit, von der der hl. Paulus ja ein Wörtchen und ein Liedchen zu singen hat. "Das eine will ich und das andere tue ich. Ich bin zerissen. Wollen und Vollbringen sind bei mir zweierlei. Wer erlöst mich daraus?" Und dann immer wieder die Zusage – Gott sei Dank! – die Zusage des Erbarmens.

Das ist das, was hier gemeint ist mit dem "Sich–Einlassen". Berufsarbeit, Pflichterfüllung, Dienst in der Familie: das gewinnt dann alles ganz andere Ausmaße, ganz andere Dimensionen, weist über sich hinaus, wird zum Machtmittel. Das eigene Dasein wird zu einem Mittelpunkt der Welt. Man beherrscht die Engel und jeder Handschlag und alles, was man erleidet, das sind dann Order, die wir den Engeln erteilen, die davon ausgehen und in die Welt hinein wirken mitten durch die Sünde hindurch, durch die wir alle waten, ohne uns deshalb in Angst versetzen zu lassen.

Das ist die Herrlichkeit zu kämpfen in und mit Christus, mit Ihm zu leben. Es ist ein wunderbares Leben, sich Ihm auszuliefern. Und dadurch wird der Mensch erst er selbst. Christus ist gekommen, damit wir, Du und ich, wenn wir uns auf Ihn einlassen, von Ihm rufen lassen, überhaupt zu unserem wahren Wesen finden. Dein wahres Wesen, Dein wirkliches Sein ist nicht etwa Dein Charakter, ist nicht etwa dadurch gekennzeichnet, daß Du Fisch oder Wassermann oder Steinbock oder Widder bist oder daß Du dieses oder jenes an Erziehung erhalten hast oder das Milieu. Das alles ist sehr, sehr prägend – leider –, eine Folge der Erbsünde, daß dies unser Dasein so prägt, und furchtbar, wenn wir nur Produkte aller dieser Faktoren sind; aber bei den allermeisten Menschen wird ihr wahres, einmaliges Sein von diesen Faktoren überdeckt. Wer Christus gefunden hat, bei dem ist die Chance da, daß durch diesen ganzen Schutt des Überdeckenden hindurch der eigentliche Mensch, das wahre ICH gefunden und geweckt wird und daß einer seine eigene Einmaligkeit findet! Darüber werden wir noch viel zu sagen haben. Und ich schließe in diesem Zusammenhang mit dem Wort des hl. Ignatius von Loyola: "Wie wenige ahnen nur, zu was sie fähig wären, wenn sie sich Christus ganz hingeben würden!" AMEN.