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Meine lieben Brüder und Schwestern,
dieses Evangelium, diese kurze Perikope, kennzeichnet das Wesen der heiligen Liturgie. Da ist alles enthalten. "Laßt uns nach Bethlehem gehen – Transeamus usque ad Bethlehem": das ist nicht richtig übersetzt. Das ist nicht einfach ein Gehen nach Bethlehem, sondern ein Hinübergehen nach Bethlehem. Wer sich zum heiligen Opfer begibt in die sakrale Stätte, der geht hinüber, der überschreitet die Grenze, die Grenze des faden und fahlen Tages, die Grenze des Üblichen, des Banalen, des Gewohnten. Das heißt das "Transeamus". Und immer, wenn die Grenze des Gewohnten überschritten wird und plötzlich ein Licht kommt aus den anderen Sphären, den ungewohnten, neuen, himmlischen Sphären, dann kommt das plötzliche Erstaunen, das heilige Erschrecken. In den sieben Gaben des Hl. Geistes ist das die "heilige Furcht". Es gibt keine wahre Religiosität ohne das Erschrecken, die Devotion, die Ehrfurcht, das Gepacktsein, das plötzliche Ergriffensein von etwas Unerwartetem. Das ist das Mark der Frömmigkeit. Wo das Staunen fehlt, fehlt alles! Da fehlt das entscheidende Vorzeichen. Das Staunen ist die Schwelle. Das ist übrigens mit dem Worte gemeint: "Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Weisheit." Das wurde immer so gedeutet und wird es noch, daß man zunächst einmal den Menschen Angst einjagen muß, damit sie auch schön gehorchen und bereit sind, in die Geheimnisse einzusteigen. In diesem falschen Sinne ist weithin, von Ausnahmen abgesehen, in der Seelsorge gehandelt worden – mit einem außerordentlich schlechten Ergebnis! Es ist nicht die Angst der Weg zu Gott – ganz abgesehen davon, daß es keinen Weg zu Ihm hin gibt! –; aber der Weg Ihn zu entdecken, der Weg der Seele, Seiner ansichtig zu werden, der Weg der Seele, Seine Nähe zu erfahren: da ist nie die Angst der Beginn der Weisheit, sondern die heilige Furcht, was etwas ganz anderes ist, das Staunen!
Wie staunt ein Kind? Was einen beim Kinde entzückt, das ist das Staunen, das aus seinem Gesicht spricht. Das ist etwas Wunderbares, in das Antlitz eines Kindes zu schauen. Es gehört zu den höchsten Wonnen dieser Erde. Nichts Schöneres, Himmlischeres als das Angesicht eines Kindes! Und wenn einen ein ganz kleines Kind anschaut, dann ist damit schon die Aufgabe gestellt für den Erziehenden, dies zu entfalten – das Staunen –, das weiterzuführen, dem Staunen weiterzuhelfen, das Staunen zur höchsten Blüte zu treiben. Und wie selten, gerade heute, wird dies erfüllt. Daneben steht das Ziehen, das notwendig ist. Ziehen heißt, dem Kind die entsprechenden Instinkte eingeben, durch die es weiß, daß es nicht alle Wünsche erfüllt bekommt, dem Kind klar machen, daß es Rücksicht nehmen muß auf seine Umgebung, daß es verzichten und Einschränkung erleiden muß. Wenn das nicht frühzeitig einem Kinde instinktiv eingeflößt wird, dann geht auch das Staunen unter. Verwöhnte Kinder verlieren ihren Liebreiz. Das werden blasierte Kinder, für die alles schon gewohnt ist, die alles haben, auf deren Gesicht das Grauen der Langeweile sichtbar wird. Es gibt ja nichts Schrecklicheres in einem Gesicht als das Langweilige, das Gewohnte. Man sieht einem Gesicht an, man kann diesen Menschen mit nichts mehr erschrecken, wecken, überraschen, in Staunen versetzen. Aus diesem Gesicht spricht das blasierte "Kennen wir ja alles schon". Das ist nicht die Schuld dieser armen Menschen, sondern die Schuld derer, die es versäumt haben, dieses Menschenwesen zu führen, zu entfalten und zu wecken. Aber der Zweck des Ziehens ist das Erziehen. Und der Gegenstand des Erziehens ist das Staunen. Und Staunen kann nur von denen übertragen werden, die selber zu staunen vermögen. Nur Begeisterte können begeistern, nur Ergriffene können ergreifen. Darum frage Dich, ehe Du Dich daran begibst, ein Kind zu erziehen, ob Du selber das Staunen gelernt hast. Das Gepacktsein, das heilige Erschrecken, das überträgt sich. Wenn Kindern an Eltern merken, sie können staunen, sie sind begeistert, die können gepackt werden von etwas Plötzlichem, Heiligem, Gewaltigem. Wie schön wird das Gesicht eines Menschen, wenn es gebannt irgendwo hinschaut, wenn es sich selbst vergißt! Das meint Angelus Silesius mit dem Worte: "Die Rose blüht ohne Warum. Sie weiß nicht, daß sie blühet. Sie weiß nicht, daß man sie siehet." Sie weiß nichts vom eigenen Leuchten. Dieses Davon-nicht-Wissen, sondern nur wissen von dem, was man schaut, Überwältigtsein, Erobertsein von dem Größeren, Höheren, das ist das, was den Menschen den Eintritt gewährt in das ganz Große.
Das wußten die Menschen beispielsweise der christlichen Frühzeit und des hohen Mittelalters. Man schaue nur die einfachen Kirchen dieser Zeit an, von den Kathedralen ganz zu schweigen. Der Eintretende wurde gewahr eines ganz Überwältigenden, Unendlichen. Da waren die Mauern und Grenzen im Grunde nur transparent für das ewige, durchscheinende Licht. Wer eine Kathedrale betritt, der betritt die Unendlichkeit, die Ewigkeit und wird gewahr der höheren Dimension. So sollte ja die ganze Liturgie sein. Der Eintretende, der wird geweckt und aufgeschreckt: "Ah!" und staunt. Er kommt aus dem Gewohnten, Üblichen ins Überwältigende, Große. Er kann staunen. Es gibt keine Liturgie, die diesen Namen verdient, es sei denn, sie weckt das Staunen derer, die hinschauen. Und das ist immer der je einzelne, der hinschaut und gebannt wird von dem herrlichen, übernatürlichen, himmlischen, jenseitigen Licht. Allein gegenüber dieser Erkenntnis wird deutlich, wie brutal, barbarisch, kulturzerstörerisch, menschenfeindlich, seelenmordend die neue Art und Weise ist, "Liturgie" – in Anführungszeichen – zu gestalten. Da ist alles ganz alltäglich, üblich, gewohnt, aufdringlich, flach, gemein – "gemein" im ursprünglichen Sinne dieses Wortes. Es nutzt mir gar nichts, wenn jemand tausendmal beschwört, er glaube an alle Dogmen, aber es erträgt, daß diese neue, schändliche, sakrilegische, abscheuliche Form der Messe gefeiert wird und daran teilnimmt! Was nutzt die Verkündung der Wahrheit, wenn die Erfahrung, das Ereignis der Wahrheit nicht in staunenweckender Weise erfahren und erschaut wird!
"Laßt uns hinübergehen nach Bethlehem und schauen, was da geschehen ist", was sich da begibt, "was der Herr uns verkünden ließ." Zunächst sind es die Ohren. Den Ohren wird gesagt, um was es geht. Am Anfang ist das Ohr. Das Ohr ist das gewaltige Organ, das den Menschen das Wort des Herrn eingibt, die Wegweisung, die heilige Mitteilung. Auch das ist ein Organ des Staunens. "Auf-horchen" heißt es in unserer Sprache. "Horch! Da wird etwas ganz Herrliches verkündet. Habt ihr es vernommen?", so besprachen sich die Hirten untereinander. Des Schweigens Kundige besprechen miteinander voll seligem Staunen, was sie vernommen haben aus dem Munde des Engels. "Habt ihr's gehört? Jetzt laßt uns aufbrechen, hinübergehen, damit wir schauen." Am Anfang das Hören, dann das Schauen und Wahrnehmen des heiligen Ereignisses. "Sie gingen eilends hin und fanden Maria und Joseph und das Kind, das in der Krippe lag. Als sie Es sahen, da verstanden sie, was ihnen von diesem Kinde gesagt worden war." Das erinnert an das Emmaus-Ereignis. Zuerst hören die Jünger. Sie sind schon ganz gepackt von dem, was sie da hören. Ihr Herz brennt. Aber noch verstehen sie nicht. Aber auf einmal schauen sie. – Und was schauen sie? – Daß Sich der, den sie vorhin gehört haben, entrückt. Vollendet ist das in der Ostliturgie, wenn der Priester hinter der Königspforte verschwindet, hinter der Ikonostase. Da offenbart Er erst seine Gegenwart, indem Er sich entzieht. Die Gegenwart wird erst wirklich deutlich durch den, der entrückt ist, der sich dem allzusehr ans Tageslicht gewohnte Auge entzieht. Dann auf einmal geht das Auge auf. "Er verschwand ihren Blicken. Da gingen ihnen die Augen auf." Deshalb ist es so ungeheuer notwendig, daß der Altar in möglichst weiter Ferne ist von den Anwesenden, im Zeichen der Entrücktheit. Der verachtete, verlachte Lettner ist ein Symbol dieser heiligen Entfernung und Entrücktheit. Heute wird darüber gespottet, und die äußersten Toren sagen: "Nun da wir das alles hören und verstehen können in unserer Landessprache, jetzt begreifen wir erst das heilige Geschehen." Sie begreifen gar nichts. Und wenn sie je etwas begriffen haben, haben sie es jetzt verlernt zu begreifen, weil es ihnen auf eine solche Weise nahegekommen ist, daß sie die Nähe gar nicht verstehen können. Ich kann die Nähe dessen, was mir nahegekommen ist, nur begreifen, wenn dieses "Nahe" sich so entfernt, daß ich seine Größe ahnend verstehe. Und nur der Ahnende kann verstehen. Nur der weiß, daß er nichts weiß, beginnt zu wissen: das ist ein wesentliches Grundgesetz heiliger Liturgie.
"Und alle, die es hörten, wunderten sich über das, was die Hirten ihnen erzählten." Sie hören und schauten. "Kommt und seht", sagt der Herr den Jüngern. Und dann kommt der Gipfel. Die schlechthin Hörende, die schlechthin Schauende und das, was sie hört und sieht, in sich hineinnehmend, die schlechthin Bewahrende und Bewegende – heilige Schwangerschaft des Geistes – "Maria aber bewahrte alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen": das ist Maria in der heiligen Liturgie. Unsere Opferliturgie, wie wir sie hier zu entfalten versuchen, ist höchst unvollkommen. Die Gegenwart Mariens tritt nicht in Erscheinung. Es fehlt die Schola bzw. der Chor, der an den Altar gehört. Allzu nah noch ist der Altar. Allzu fades Tageslicht lassen die blassen Fenster herein. Immerhin, gegenüber anderen sakralen Räumen, ist er noch goldwert, dieser Raum, aber die Vollendung ist es noch lange nicht. Das Eigentliche ist noch lange nicht erreicht. Noch zu nahe, noch fehlt der Chor. Und der Chor ist nichts anderes als die Vergegenwärtigung Mariens. Denn was macht der Chor? – Er schaut, er ist ergriffen, gebannt. Er kommentiert das Geschehen, er meditiert, er kontempliert, d.h. er ist versunken, selbstvergessen im Schauen und bewegt das, was er sieht und hört, im Herzen. Das sind die sogenannten "Proprien", die die Schola singt in übernatürlichen Weisen: Introitus, Graduale, Offertorium, Communio. Wenn die Schola sich da erhebt mit diesen betrachtenden, kommentierenden Psalmversen, dann sollen die Anwesenden in Schweigen hören und sich hineinversenken in das ungeheuer Überwältigende, was sich da begibt. Selbstverständlich ist das auch in der Praxis vor der Katastrophe nicht in der angemessenen Weise vollzogen worden. Man denke nur an die hastigen Bewegungen vieler Priester mit ihren rasch hingehauenen Kreuzzeichen. Statt ausladender Bewegungen und langsamer Gebärden ist alles so schnell hingehauen worden. Und dadurch ist auch die Zerstörungsform, der Neue Meßordo, manchen einleuchtend geworden, weil sie meinten, jetzt geschieht es ruhiger und nicht mehr so hastig dahingehauen. Es hat mir nicht nur ein Priester gesagt "Ich schmeiße die Messe in zwanzig Minuten". Dieser Priester hat natürlich nie begriffen, worum es geht. Es müssen ganz langsam ausholende, sich ausweitende Gebärden eines Staunenden sein, der Staunen weitergibt. Darüber ließe sich noch vieles sagen. Aber dieses von Maria "Sie bewahrte diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen"; was gebiert sie aus ihrem Geiste? – Das heilige Ratgeben. Das Ratgeben ist die Geburt, die aus dem Staunen kommt, aus dem großen Schauen. Mit weit aufgerissenen Augen wird der Prophet dargestellt, unter der Last seines Auftrages.
Und dann kommt das "Ite missa est": "Dann kehrten die Hirten zurück, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, so wie es ihnen gesagt worden war." Ich sagte eben, das beginnt beim Kind. Die beste Einführung in die heilige Liturgie ist die Gestaltung des Heiligen Abend, des Weihnachtsabends, das Erzählen von Märchen, den wahren Märchen, welche Träume sind, Träume uralter Frauen vergangener Geschlechter. In diesen Träumen ist die Uroffenbarung mitgeteilt worden. Die Kindesseele ist für diese Bildsprache geeignet. Wie der Magen des Kindes noch kein Sauerkraut mit Rippchen vertragen kann, so kann die Seele des Kindes noch keine Begriffe vertragen, sondern Bilder. Und unbewußt erfährt das Kind, daß hier unsagbar Bedeutungsvolles mitgeteilt wird, wenn ihm von Dornröschen, Schneewittchen oder "dem Wolf mit den sieben Geißlein" erzählt wird. Und dann der Weihnachtsabend: Die Tür wird verschlossen. Der Raum darf nicht betreten werden. Das Schlüsselloch wird zugestopft. Drinnen begibt sich Himmlisches. Und ich habe es gestern erzählt: Ein noch nicht zweijähriges Kind, das zum erstenmal – jüngst erfuhr ich es – die Herrlichkeit des Weihnachtsbaumes sah, war in Ekstase. Es war entrückt und breitete plötzlich hinschauend seine Ärmchen aus. Ich sagte dem Großvater, der es mir mitteilte: "In diesem Kind ist das Beste grundgelegt. Dieses Kind mag einmal Abwege und Irrwege gehen: es wird mit tödlicher Sicherheit immer wieder zurückkehren." Wer je das Staunen erfuhr, ist gerettet! "Wer je die Flamme umschritt, bleibt der Flamme trabant", um Stefan George zu zitieren. Das ist das heilige Gesetz der Weihnacht. Nehmen Sie unseren jungen Menschen gar nichts übel. Sie sind betrogen um ihr höchstes Glück – das Staunen. AMEN.