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Meine lieben Brüder und Schwestern,
auch diesmal wieder im Grunde dasselbe, derselbe große Gesichtspunkt. Es könnte einem einer entgegenhalten: Du sagst ja immer dasselbe. – Nun, was wirklich durchgeschlagen hat in der Geschichte, das war – sei es von dämonischer Seite, sei es von göttlicher Seite – diese ständige Wiederholung. Christus hat Sich auch wiederholt und konnte trotzdem nicht verhindern, daß jahrhundertelang das Evangelium praktisch mißverstanden worden ist, total mißverstanden. Ich komme da gleich auch noch mal darauf zu sprechen. Ab nächsten Sonntag kommt die versprochene Reihe über das, was man die Verdienste nennt, über die Macht des Menschen, über seine Ausstrahlung, genau gesehen über den mystischen Leib. Ich hab diesen Zyklus auf Ende des Sommers und Herbst gelegt.
Nun schauen wir uns das Evangelium an: Da sind die zehn Aussätzigen. Sie rufen von Ferne um Erbarmen, nachdem sie gehört haben, was Jesus wirkt. Und Christus verheißt ihnen Heilung, indem Er ihnen aufträgt, das zu tun, was geheilte Aussätzige zu tun haben: Sie stellen sich den Priestern, um wieder aufgenommen zu werden in die menschliche Gesellschaft, um von ihrer Unberührbarkeit freizukommen. Sie gehen hin. Und den Neun, die nicht zurückkommen, könnte man zunächst kaum einen Vorwurf machen. Sie werden sagen: "Was will man von uns. Wir haben getan, was unsere Pflicht war. Wir haben uns den Priestern gestellt. Wir sind wieder gesund geworden. Wir freuen uns sehr darüber und sind auch dankbar, aber was kann Er uns schon vorwerfen? Wir tun das Unsrige. Wir tun, was sich gehört, und haben nichts unterlassen." Der eine kehrt zurück, wendet sich zu Christus – persönlich! –, fällt vor Ihm nieder und dankt. Jeder Dank ist eine Zurückwendung zur Person. Man zeigt sich erkenntlich. Erkannt wird immer der, der von einer Person gesehen wird und der eine Person sieht, der sich in den Bannkreis des DU-zu-DU und des DU-in-DU hineinbegibt aus der bloß sächlichen, aus der bloß äußerlichen Pflichterfüllung in das Spannungs- und Magnetfeld der persönlichen Hingabe, des persönlichen Engagements.
Nun, es ist gut, daß wir uns jetzt mal die Lesung anzuschauen vom heutigen Tag aus dem Galaterbrief, diese äußerst erfrischende Lesung. Die Lesungen gehen ja weithin unter. Man hört sie, man liest sie, aber wer fühlt sich schon animiert, daraufhin die ganzen Briefe der Apostel zu lesen? Und wenn man die liest, dann knackt es im Gehirn. Da sind sehr schwierige Stellen. Aber kannst Du Dir vorstellen, ein Liebhaber bekommt einen Liebesbrief, der schwer zu verstehen ist, und legt ihn dann beiseite und sagt: "Na ja, das kann ich nicht verstehen. Lassen wir's." Er wird vielmehr diesen Brief immer wieder lesen. Er wird die Nüsse mit Genuß zu knacken versuchen, und immer neu und immer wieder. Er wird keine Ruhe haben, bis er eingedrungen ist in das, was da steht, und in das, was zwischen den Zeilen steht. Er saugt diesen Brief in sich hinein. Und die ganze Hl. Schrift ist ein Brief, geschrieben an Dich vom Geliebten. Aber der Geliebte wird gemeinhin nur begriffen unter sachlichem Aspekt: Was hab ich zu tun? Was hab ich zu unterlassen? Was tue ich, was hab ich getan? Und daraus ergeben sich höchst bedenkliche und tief pharisäische Selbstberuhigungen, gegen die Christus unentwegt vorgeht.
"Brüder! Dem Abraham und seinem Nachkommen sind die Verheißungen gegeben worden. Gott sagt nicht: 'und deinen Nachkommen' in der Mehrzahl, sondern in der Einzahl: 'und deinem Nachkommen', nämlich Christus. Damit will ich aber sagen: Das von Gott rechtskräftig gemachte Testament kann durch das Gesetz, das erst vierhundertdreißig Jahre später gegeben wurde, nicht ungültig gemacht werden, so daß die Verheißung hinfällig würde. Denn käme das verheißene Erbe durch das Gesetz, so käme es nicht mehr kraft der Verheißung; dem Abraham aber hat es Gott durch die Verheißung verliehen. Wozu dann aber das Gesetz? Es wurde der Übertretungen wegen nachträglich aufgestellt, bis jener Nachkomme käme, dem die Verheißung galt. Durch Engel angekündigt, ist es durch die Hand eines Mittlers gegangen. Einen Mittler aber gibt es nicht, wo es sich um einen einzigen handelt." – Hier ist übrigens der Mittlerbegriff, der nicht ins Christliche paßt: der Mittler, der dazwischenkommt, der sich dazwischenschiebt, der Zwischenträger. Das ist in dem Fall Moses. Das Mittlertum des Christus ist ein ganz anderes. Christus ist nicht der Zwischenträger, sondern Er ist Mittler in dem Sinne, daß Er allumfassend ist, daß Er Gott und Schöpfung in Sich vereint, Mittler im Sinne des umfassenden, vereinenden UND. – "Gott aber ist nur einer. Ist also das Gesetz gegen die Verheißung Gottes? Keineswegs! Denn nur wenn ein Gesetz gegeben wäre, das Leben verleihen könnte, käme in Wahrheit die Rechtfertigung aus dem Gesetz. Allein die Schrift erklärt, daß alles der Sünde verfallen ist, damit die Verheißung den Gläubigen zuteil würde aufgrund des Glaubens an Jesus Christus."
Das wiederholt der hl. Paulus des öfteren. Vor allem breitet er es im Römerbrief aus. Hier Gesetz, dort Verheißung. Wenn das Gesetz im Sinne der Verheißung verstanden wird, dann wird es richtig verstanden. Die Propheten haben sich dafür stark gemacht, das Gesetz im geistigen Sinne zu verstehen und darzulegen. Wer das Gesetz dem Buchstaben nach begreift, der hat sich schnell getröstet und beschwichtigt. Dem Buchstaben nach ist für die meisten die Sache recht harmlos. Sie brauchen sich nichts Besonderes zu Schulde kommen lassen und können ruhig schlafen. Wer aber das Gesetz dem Geiste nach versteht im Sinne der Liebe, der Gottesliebe und der Liebe zu sich selbst, um als Nächster den begegnenden Menschen zu lieben wie sich selbst, der kann sich nicht beruhigen, der merkt angesichts dessen, was gemeint ist mit dem Gesetz, daß er es nicht erfüllen kann. Und darum ist das Gesetz gegeben worden, damit der Mensch deutlich an dem vorgelegten Gesetz merkt, daß er es nicht erfüllen kann und daß er deshalb angewiesen ist auf den, der da kommen soll!
Auf der einen Seite also dieses Sächliche: Was habe ich zu tun? Was habe ich den Böses getan? Ich habe nichts Unrechtes getan. Ich tue meine Pflicht. – Immer dieses nach der Vorlage fragen, dieses Sich-Ausrichten nach einer Verordnung, an einer Verordnung. Und das heißt Pharisäertum. Jeder Moralismus ist pharisäisch. Auf der anderen Seite das richtige Verständnis des DU-zu-DU. Denn Verheißung ist eine personale Einrede, ein Zuspruch, ein Wort der Liebe, ein DU-zu-DU. Abraham wurde herausgerufen. Gott redet ihn an. Gott verschwört Sich ihm um dessentwillen, der da kommen soll. Und Abraham verschwört sich Gott. Im Bannkreis dieser Verschwörung gibt es keinen Urlaub und keinen Feierabend. Da gibt es nicht dieses ruhige Sich-Niederlassen: "So, jetzt habe ich es los, jetzt begebe ich mich in mein Eigentum, in das was mir ist. Denn schließlich habe ich hier diese Welt für mich gepachtet, meine Hütte, meinen Herd. Da will ich's möglichst sicher haben. Und deshalb liefere ich die Tribute ab, die von mir verlangt werden, damit ich dann hier in Ruhe verweilen kann mit gutem Gewissen." Das ist der Sinn des Pharisäers, der Sinn der neun Geheilten, vom Aussatz Geheilten. Sie begeben sich nach außen in das, was sie als das Ihre wähnen. Sie gehen fort. Die wenigsten kehren zurück, kehren in sich ein, erinnern sich, gehen in die Tiefe, um Ihm zu begegnen, dem ewigen Freund. Wer sich aber verschworen hat und hingegeben hat dem Geliebten, der ist für immer verschworen. Und da er liebt, ist ihm seine Liebe nicht genug. Denn Liebe ist sich selber nie genug, und sie kennt kein "Genug". Die Liebe ist immer des schlechten Gewissens – keines quälenden schlechten Gewissens, keines skrupulösen Gewissens, aber eines vorantreibenden schlechten Gewissens, einer dynamisierenden Trauer um des Geliebten willen, um Ihm mehr und mehr zu gehören. Und der Liebende fragt sich: "Will ich im Ernst Ihm gehören? Gehöre ich Ihm wirklich?" Und er läßt sich keine Ruhe und läßt dem Geliebten keine Ruhe: "Erbarme Dich meiner. Dring ein. Laß keine weiße Stelle von Dir unerobert! Nimm mich ganz. Komm, hier bin ich!"
Das ist der Glaube! Nicht durch die Erfüllung des Buchstabens und auch nicht durch die Erfüllung dessen, was das Gesetz vorschreibt – denn das können wir nicht! –, sondern durch den Einbruch des Geliebten, den ich einbrechen lasse, bin ich gerechtfertigt, das heißt aus der Waagerechten hinaufgehoben in die Senkrechte, in die andere, in die neue Dimension, und werde so zum ICH und gewinne grenzenlose Lust an meinem ICH und nicht aufgrund dessen, was ich an mir feststelle. Denn wenn ich ehrlich mit mir umgehe, stelle ich eben fest, daß der innere Schweinehund sehr viel Spielraum hat, vielzuviel Spielraum, daß ich schwach bin und immer wieder schwach und bequem und feige und von dämlichen Gedanken erfüllt und fragwürdigen Beweggründen. Das wuchert. Wenn ich mit mir von Angesicht zu Angesicht umgehe und in einen klaren, ungetrübten Spiegel schaue, weiß ich, daß ich aus mir heraus kein Selbstbewußtsein zustandebringe. Aber Er richtet mein Selbst auf, der ständig Bereinigende, ununterbrochen Wiederherstellende, wenn ich nur will und wenn ich mit meinem eigenen Willen in einer höchst unersättlichen, in einer höchst ungenügsamen Weise umgehe und meinen Willen von Grenzüberschreitung zu Grenzüberschreitung ansporne. "Ich will. Komm. Hier bin ich!" Daraus ergeben sich unabsehbare Möglichkeiten der Selbstüberwindung und einer Todbereitschaft, die imstande ist, die Dinge zu deuten, zu überschauen und das Schicksal in den Griff zu bekommen. Christus ist gekommen, um den neuen Menschen hervorzubringen, der deshalb wird, weil in Ihm und mit Ihm und durch Ihn ständig neue Geburt sich ereignet, der einzelne, der da ist, der getaucht ist und vom Hl. Geist erfüllt ist, um eben immer weiter eingeweiht zu werden in die Geheimnisse. Wer getauft und gefirmt ist, dem ist nichts vorzuenthalten!
Jetzt komme ich wieder auf meine berühmte Aufregung, die ich vorhin schon angedeutet habe. Man kann sich gar nicht genug darüber aufregen; ein viel, viel schlimmeres Ärgernis als irgendwelche moralische Verfehlungen und ein Doppelleben dieses oder jenes Papstes oder Bischofs in moralischer Hinsicht. Das viel, viel schlimmere Ärgernis ist dies, daß man dem antichristlichen Wahn jahrhundertelang verfallen war, man dürfe dem Getauften und Gefirmten Entscheidendes vorenthalten! Die Theologie, das eigentliche Wissen über den Gottmenschen, das sei ja für den Priester da. Für den sogenannten "einfachen" Menschen genüge es, wenn er brav ist und seine Pflicht tut, damit er auch in den Himmel kommt. Man hat den Getauften und Gefirmten, den von Christus Erwählten und Erhobenen, angesehen als einen Untertanen. Für die Seelsorge wurden ja nicht gerade die besonders Gescheiten abgestellt (Ich höre immer wieder, daß gesagt wird, die Priester seien doch eine besondere Elite. Wenn es doch nur so wäre!), sondern oftmals Lebensuntüchtige und Unbedarfte – leider! –, die sich noch was darauf zugute halten, wenn sie gewisse theologische Quisquilien im Hinterkopf behalten und das sogenannte schlichte gläubige Volk abspeisen mit Primitivitäten. Der wirklich Erfüllte, von den Geheimnissen Durchdrungene, der vom Eros erglüht ist für die Geheimnisse und vom Eros zum anvertrauten Menschen, der gibt keine Ruhe, bis er alles mitgeteilt hat. Denn der gläubige, der glaubende, der herausgerufene, getauchte und vom Hl. Geist erfüllte, das heißt vom Hl. Geist getaufte Mensch hat den Anspruch, alles zu hören! Und sein moralischer Werdegang, das ist seine Sache, die er in der Begegnung mit dem großen Erbarmer zu vollziehen hat. Dein moralischer Werdegang, Dein aszetischer Status hat mich persönlich gar nicht zu interessieren. Mich hat zu interessieren, daß ich Dich aufrichte und Dir ein grenzenloses Selbstbewußtsein verleihe in Seinem Erbarmen, in dem vorwärtstreibenden, adelnden, auf den Thron erhebenden Erbarmen!
Der Eine von den Zehn hat es begriffen. Er wendet sich dem großen DU zu und wird aufgerichtet und wird wirklich geheilt. "Dein Glaube hat dich geheilt", nicht die dumme Übersetzung "Dein Glaube hat dir geholfen". Das heißt es ja gar nicht. "Te salvum fecit", heißt es. Er hat Dich bis ins Tiefste geheilt, während die anderen sich in ihrer Oberflächlichkeit nach dem Außen hin in ihrem selbstgenügsamen, unbedarften ES tummeln – eben die Neun von Zehn. In Wirklichkeit ist der Prozentsatz noch höher. Es sind noch mehr als neunzig Prozent, die sich dieser Oberflächlichkeit hingeben! Und dazu gehört auch die große Masse derer, die durchaus fromm sein wollen. Sie begnügen sich mit dem ES und haben noch lange nicht gefunden zum DU. Wer zum DU gefunden hat, der hat eine Ausstrahlung, die anzieht, weit macht und frei macht, auf Bergeshöhen hinaufhebt. Wo der Muff waltet, da waltet das sächliche ES, der moralische Vergleich, das aufeinander Lauern, das Abwägen und Abmessen, was einer tut und was einer nicht tut – eben das Außen. Wo aber die Freiheit waltet, zu der uns, wie Paulus sagt, Christus befreit hat im DU-zu-DU, im Raum des Personalen, da waltet eine gute, würzige Höhenluft. AMEN.