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Meine lieben Brüder und Schwestern,
gehen wir also an unser Thema, das wir im folgenden, an den folgenden Sonntagen behandeln werden: Was ist es um die Verdienste im Rahmen der katholischen Überzeugung und des katholischen Lebens, des Lebens, das dem katholischen Namen entspricht.
Verdienst: Das ist eine Tat, ein Einsatz, ein Opfer, das einer guten Sache zugute kommt, also das Wirkung zeigt – im engeren Sinne –, das einen Gegenwert hervorruft. Wie ist es damit? Die Frage: Kann der Mensch dies verdienen, daß Gott ihm gnädig ist? Kann der Mensch es bewirken durch seine Gebete, durch seine Taten, Entsagungen, Opfer, daß er gerechtfertigt wird, daß Gott ihn annimmt? – Die Antwort, sie ergibt sich aus allem bisher Gesagten und Gehörten: NEIN! Was ist es nun um die Verdienste?
Schauen wir uns, und das ist sehr interessant und wichtig in diesem Zusammenhang, den Werdegang Luthers an – sehr bezeichnend, sehr instruierend. Von Luther sagt man ja neuerdings aufgrund angeblicher Funde, daß er ins Kloster gegangen sei, weil er im Duell jemanden umgebracht habe. Offen gestanden ist mir das vollkommen Wurst. Es interessiert mich gar nicht. Was der Mann für Sünden oder Nichtsünden getan hat, damit haben wir uns nicht zu befassen. Das geht uns gar nichts an! Es ist ganz ohne Zweifel, daß er aus einem ganz tiefen religiösen Engagement heraus seine Entscheidungen gefällt hat – am Ende tragische, im schweren Irrtum mündende Entscheidungen! Aber was war sein eigentlicher Impuls?
Er ging ins Kloster, um in der Stille des Klosters zu erfahren, daß er "einen gnädigen Gott hat". Und das ist zu schwach und zu ungenau ausgedrückt. Er wollte es hinkriegen, einen gnädigen Gott zu haben: "Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?" – Diese Frage ist schon im Ansatz verkehrt! Aber Luther stellte diese Frage und wollte es hinkriegen. Wie kam er zu diesem irrigen Ansatz? – Weil er groß wurde im Raume eines schwerwiegenden Irrtums! Denn vor Luther, längst vor Luther, war Nordeuropa und Deutschland von einer Irrlehre beherrscht und durchherrscht: vom Nominalismus. (Den hier jetzt darzulegen würde zu einem philosophischen Vortrag geraten. Ich kann nur ein paar Andeutungen geben, die in dem Zusammenhang wichtig sind.) "Der Mensch", so lehrt der Nominalismus, "kann das Wesen der Dinge nicht erkennen und kann über das Wesen Gottes nichts wissen, auch über das Wesen des Menschen nichts!" – Gott ist ein Willkürgott in dieser Sicht! – "Und das, was Er befiehlt, ist gut, weil Er es befiehlt! Warum Er es befiehlt, wissen wir nicht, können wir auch niemals herausbekommen. Daß ich keinen Menschen umbringe ist deshalb gut, weil Gott es befohlen hat. Wenn Er morgen befiehlt, ich soll alles umbringen, was mir vor die Nase kommt, dann ist das ab morgen gut, weil Er es befiehlt!"
Das also in kurzen Andeutungen der Nominalismus, soweit er uns in diesem Zusammenhang angeht. Nun, daraus folgerte Luther, "ich kann nur den gnädigen Gott feststellen an mir selber, inwieweit ich dem Willen des Willkürgottes gemäß handle. Soweit ich das an mir bemerke, soweit weiß ich um den mir gnädigen Gott." Ich kann mir also, nach Luther – widersprüchlich genug! –, den mir gnädigen Gott verdienen! Und so ging er ans Werk. Und weil er nicht kleinkariert war, merkte er alsbald, daß er sich damit selber täuschte, daß es damit nichts wird und nichts werden kann. Denn nur Kleinkarierte können in dem Wahn leben, daß sie vor Gott bestehen können, daß das, was sie tun, ausreicht, um Gottes Gnade zu erwerben: "Ich kann vor Gott bestehen! Ich komme nicht mit leeren Händen!" Nun, Luther war zu genial und zu intelligent, um sich einer solchen Täuschung hingeben zu können. Er konnte sich nichts vormachen, und er merkte, so geht es nicht! Denn er sah schließlich in sein Inneres, wie im Raum des Halbbewußten und Unterbewußten die fragwürdigsten, verschlungensten, widersprüchlichsten, bösesten Beweggründe sich tummeln, daß nach unten hin – denn das menschliche Bewußtsein gleicht einer Pyramide: je mehr es ins Unterbewußte geht, desto breiter weitet es sich –, daß eben in der Tiefe alle Giftschlangen sämtlicher denkbarer Verbrechen sich tummeln und lauern und daß der Mensch zu allem Bösen nicht nur fähig, sondern auch zu gegebenen Stunde geneigt ist! – Er gelangte also zu der Auffassung: "Ich bin böse. Ich bin ein Kümmerling. Ich bin nichts und habe nichts vorzuweisen. An mir abgelesen kann ich nur sagen: Ich habe keinen gnädigen Gott!"
In dieser Verzweiflung bewegte sich Luther – einer tiefen Verzweiflung! – bis jene berühmte Turmstunde, das Turmerlebnis in Wittenberg kam: Er las den Römerbrief, den er vorher schon hundertemal gelesen hatte, über den er auch doziert hatte, und sein Blick fiel auf die Stelle: "Wir werden gerechtfertigt nicht aus den Werken des Gesetzes, sondern durch den Glauben." Und dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen, wie er wörtlich berichtet: "Und mir war es, als würde ich geradezu von der Hölle in den Himmel springen." Also er erkannte: Nicht: Ich kann mir den gnädigen Gott erwerben – sondern: Er ist da! Er ist für mich da! Der Vater spricht sich aus im Sohn, der Mensch wird und für mich blutet. Und in dieser Tat bin ich gerechtfertigt, d.h. in die Senkrechte hineingehoben, angenommen, nicht aufgrund dessen, was ich tue, sondern aufgrund dessen, was Er tut!
War das richtig? – JA! Eine genuin-katholische Erkenntnis. Das war der Ausgangspunkt! Und das befreite ihn. – Und dann kam die Tragödie: Denn er war mit der Tiefe nicht vertraut! Das, was sich rundherum tat im Zeichen einer völlig falschen Vorstellung und im Zeichen des Nominalismus, das hat in Rom wenig interessiert. In Rom hatten Papst und Kardinäle und überhaupt auch die Bischöfe für religiöse Dinge weniger Interesse. Und deshalb konnte das alles so durchgehen! Aber Luther hatte ein sehr nachdrückliches religiöses Interesse! Und da er keinen fand, der sich mit ihm darüber unterhielt, mußte es schiefgehen, denn die Voraussetzungen seinshafter Erkenntnis, die ganze Fülle der Erlösung mußte ihm verborgen bleiben! (Na ja, ich will jetzt in Klammern anfügen: Aufgrund der Erbärmlichkeit der Verkündigung blieb sie wahrlich nicht nur ihm verborgen!)
Nun, fügen wir gleich noch ein anderes Beispiel an: Die hl. Theresia von Lisieux, bei der war es ähnlich. Sie trat ja sehr früh, in jugendlichen Jahren, in den Karmel ein aufgrund einer Dispens des Papstes Leo XIII. In jugendlichem Ungestüm dachte sie im Galopp voranzuschreiten im Tugendleben, von Tugend zu Tugend steigend, und ihre Fehler abzulegen. Aber auch sie war intelligent genug, sehr schnell zu merken, daß es damit nichts ist, und sich selber in ihrer ganzen Erbärmlichkeit zu erfahren.
"Ja, tat sie denn was Unrechtes?" – Übrigens diese Frage ist der Ausgangspunkt alles Hoffnungslosen und jeglicher Niederlage und jeglicher Unfruchtbarkeit "was tue ich denn Unrechtes?"! – Du liebe Zeit: Wenn Du Dich das fragst, dann ist der Rest religiöser Beschäftigung von einem unbezwingbaren Gähnen durchsetzt! Das ist ja ganz klar. "Ich tue nichts Unrechtes. Ich bin ein anständiger Mensch. Im Sockel bin ich gut. Mir kann ja nichts Besonderes passieren. Was soll ich mich also jetzt außerdem noch groß mit religiösen Dingen beschäftigen." Der Rest ist Gähnen – bei den meisten ja leider der Fall. Das wissen wir.
Aber sie ging eben von dieser Frage nicht aus! Sie war gescheit genug zu bemerken, daß es mit ihr nichts ist. Sie tat ihre Pflicht, sie tat das Ihre. Sie kam pünktlich zu den Gebetszeiten und hat ausgeführt, was ihr befohlen wurde. Und sie bemühte sich, aber sie merkte, daß in ihrem Inneren halt alles mehr als fragwürdig, brüchig und stotternd dahinvegetierte. "Ich bin nichts und habe nichts, habe nichts vorzuweisen": diese Erkenntnis machte sie tief traurig und schuf Depressionen. Und bei ihr war es dann so. Plötzlich kam ihr das Folgende: Das, was mich jetzt so traurig macht, mich so niederschlägt, daß ich an mir bemerke, ich komme mit leeren Händen: das ist ja gerade der Grund der Freude! In dieses Nichts, das ich aus mir bin, bricht Gott ein, und meinen leeren Hände füllt Er! – Das war der Ausgangspunkt ihrer Lehre vom "kleinen Weg", der im Grunde sehr, sehr groß und sehr heroisch ist: Einen Schritt vor den anderen setzen – wissend: ich bin nichts! – und sich freuen in Seinem Erbarmen, das mich ständig wiederherstellt und ständig die Vergangenheit bereinigt und mich ständig neu gebiert.
Das meint Christus übrigens mit dem Wort "Wenn ihr alles getan habt, so sagt: Wir sind unnütze Knechte." Das ist nicht die Empfehlung, eine Floskel zu gebrauchen, schön "brav" und "demütig" zu sagen, wenn man alles getan hat "ach ich bin ja nur eine unnütze Magd". Christus empfiehlt ja schließlich kein Demutsgetue, sondern: "Ihr sollt wissen, daß ihr unnütze Knechte seid, nachdem ihr alles getan habt!" Das hört man, das liest man, aber wer setzt sich damit auseinander mit dieser erregenden Wahrheit!
"Umso besser", sagt Theresia, "Er tut es in mir!" – Das ist also eine ähnliche Situation wie bei Luther. Aber sie wußte im tiefsten mehr! Sie wußte um das, was wir "Verdienste" nennen.
Was ist es denn jetzt noch mit den Verdiensten? (Darüber heute und darüber das nächste Mal, denn heute werden Fragen offen bleiben, sehr bewußt.) – Nun, lesen wir doch in der Epistel, im Galaterbrief. "Täuscht euch nicht: Gott läßt Seiner nicht spotten. Was der Mensch sät, das wird er auch ernten. Wer im Fleische sät, wird vom Fleisch Verderben ernten; wer aber im Geiste sät, wird vom Geist ewiges Leben ernten."
Wer sät denn "im Fleisch"? – Da denkt jeder sofort an irgendwelche Sünden gegen das sechste Gebot, denn da ist ja besonders das Fleisch gefragt. Das ist immer die falsche Assoziation, wenn von "Fleisch" die Rede ist. Da denkt jeder gleich an irgendwelche spezifische Versuchungen – vollkommener Unsinn! Auch die "böse Begierlichkeit" hat damit gar nichts zu tun, sondern das ist nichts anderes als der Wahn, aus Eigenem etwas vorweisen zu können. Dieses Unter-dem-Gesetz-Stehen, Dem-Gesetz-verfallen-Sein, das heißt "im Fleische leben"! Das meint der hl. Paulus (ich sagte das letzte mal, "Fleisch" sei eine Chiffre für das Denken von unten, für den Wahn des Von-unten-Sein, was Johannes "Welt" nennt, die andere Chiffre) mit den Worten "wer im Fleische sät, wird vom Fleisch Verderben ernten".
Wer also auf sich, auf eigene Kraft baut und vertraut und befriedigt darauf blickt, daß er alles zustande bekommen hat, der lenkt von sich und seiner wahrhaftigen Erbärmlichkeit ab auf ein "ES"; und der sät "im Fleisch". – "Wer aber im Geiste sät, wird vom Geist ewiges Leben ernten." Das ist der, der aus der Senkrechten heraus lebt, dessen Bewußtsein sich von Gott ableitet, der in Ihm denkt und aus Ihm heraus alles ableitet und will und versteht und Ihn sich selber zuschreibt und dadurch sein ICH findet. Das ist "im Geiste säen".
"So laßt es uns denn Gutes tun und nicht ermüden; zu seiner Zeit dann werden wir ernten, wenn wir nicht nachlassen" – das heißt "immer wieder anfangen". – "Solange wir noch Zeit haben, laßt uns allen Gutes tun, vorzüglich aber den Glaubensgenossen." – Das letztere ist auch mißverständlich. Das heißt nicht: "Ich blicke umher, ob ich Gutes tun könne. Da suche ich mir jetzt erst mal die Katholiken aus; den tue ich Gutes. Und was noch übrig bleibt, tue ich den Nichtkatholiken." So primitiv wird das manchmal aufgefasst, ist es selbstverständlich gar nicht zu verstehen?
Was heißt denn "Ich verdiene"? – Es ist mir unverdient gegeben, daß ich verdienen kann. Umsonst wird mir geschenkt, daß ich es kann; denn ich bin an einen unendlichen Stromkreis angeschlossen, das bedeutet, "im mystischen Leib des Gottmenschen". Ich bin organisch an Christus angeschlossen! Sein Leben strömt in mir! Er übernimmt mein Leben! Und das muß ich immer neu wollen, Tag für Tag, Morgen für Morgen. "Übernimm mein Dasein mit allem Drum und Dran, mit allem, was ich bete, tue, leide!" – Und dann betet Christus meine Gebete, leidet meine Leiden, arbeitet meine Arbeiten. Er übernimmt mich! Und dann geschieht es, angeschlossen an den Stromkreis, im Sohn zum Vater hin durch den Hl. Geist, daß, da Christus ja mein Leben lebt, von mir Kraftströme ausgehen. Ich bin eingebettet in den Kraftstrom! Und nun: Je mehr von mir ausströmt, desto stärker schwillt der Strom an und zeigt Wirkung bei irgendwelchen Menschen, die ich nicht kenne, die mich nicht kennen, irgendwo – in Australien oder im Westerwald oder sonst wo. Irgendwo werden Menschen aufgerichtet, getröstet, erleuchtet, gestärkt. Und das wirkt wiederum auf mich. Je stärker der Strom, desto stärker der Nachschub. Das ist wie bei einem Liebesvorgang. So ist es gerade in Christus. Alles strömt zurück!
Der hl. Paulus kommt immer wieder darauf zu sprechen. Wir können ganze Passagen seiner Briefe gar nicht verstehen, wenn wir nicht diesen organischen Zusammenhang sehen. "Was mir zur Freude gereicht, ist eure Freude. Was mir Leidenschaft, geschieht zu eurer Freude." Wir sind alle drinnen, und darum ist das, was von mir ausgeht, zunächst, automatisch dienlich denen, die in Christus sind – das heißt "Du förderst den Glaubensgenossen" –, strömt aber über die Grenzen hinaus in den Bereich des Kosmos in unabsehbaren Effekten. Das ist kurz gesagt "Verdienst".
Was ergibt sich daraus für mein Leben? Wie soll ich mich darauf einstellen? Wie werde ich damit fertig angesichts meiner Schwächen und Armseligkeiten und Sünden, angesichts des katastrophalen Mangels an Liebe? – Sehen Sie, diese seinshafte Wandlung, die in der Tiefe des Menschen sich vollzieht, und die neue Macht, die hat Luther unterschlagen – wobei höchstwahrscheinlich ihn persönlich da kaum Schuld trifft, aber das ist nicht unser Thema – er hat es unterschlagen! Der Mensch bleibt nach seiner Lehre draußen. Er bleibt nach seiner Lehre zwar von Gott angenommen, Gott sieht ihn gleichsam durch die Brille des Kreuzesopfers Christi. Er überdeckt seine Sündhaftigkeit, aber in sich wird der Mensch nicht verwandelt, nicht hineingenommen, nicht mit Macht ausgestattet, nicht fähig, Macht auszuüben, d.h. Verdienste zu wirken. Das ist der fatale Irrtum Luthers! Und alle verschiedenen Denominationen innerhalb der Protestanten haben alle diesen gleichen Irrtum, diesen gleichen Mangel an Erlösungsbewußtsein! Wie sich dieses Erlösungsbewußtsein nun tatsächlich im Leben, in deinem Tag konkret auswirkt, darüber das nächste Mal und die nächsten Male. AMEN.