Niederschrift der Predigt von Pfarrer Milch
Fronleichnam 1980
Meine lieben Brüder und Schwestern,
wir beten an das wahre Himmelsbrot – Christus. Anbetung: Zunächst einmal, im strengen Sinne des Wortes, im religiösen Sinne des Wortes heißt "anbeten" Sich-jemandem-Schenken zu dessen höchster Ehre. Das ist präzise Anbetung. Und in diesem Sinne ziemt einzig und allein Anbetung Gott! Ich darf mich keinem Menschen schenken zu seiner höchsten Ehre – nur Gott bzw. dem Gottmenschen. Nur Christus wird angebetet! Nicht daß ich zu Ihm hinbete heißt Anbetung, sondern daß ich mich in Ihn hineinverliere und mein ganzes Dasein auf die eine Karte Gottes setze, um Ihm die allerhöchste Ehre zu erweisen!
Mit dieser Anbetung ist nun verbunden, daß ich meinen Geist mit dem, was ich an dem Auserwählten, der mich erwählt und den ich erwählt habe, was ich an Ihm an Herrlichkeiten vorfinde, daß ich dies in mich, in meinen Geist einsickern lasse. Klassisch ist dies ausgedrückt in der Hl. Schrift bezogen auf Maria, die Ur-Anbetende – denn sie ist die Anbetende schlechthin! –, die Ur-Kontemplierende, die Ur-Meditierende. Von ihr heißt es: "Sie aber bewahrte alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen." Das ist eine vollendete Formulierung für das, was mit "Anbetung" gemeint ist: den geliebten, ewigen Gott, den ich gefunden habe – wie es im Hohenlied Salomons heißt: "Ich habe den gefunden, der meine Seele liebt und den meine Seele liebt." Und alles, was ich an Ihm entdecke, von Ihm höre, an Ihm erschaue, von Ihm weiß, das alles nehme ich in mich hinein. In einem Psalm heißt es: "Selig derjenige, der in dem, was Gott setzt, nachsinnt Tag und Nacht."
Erwägen, Nachsinnen, In-sich-Aufnehmen, In-sich-eindringen-Lassen: das ist mit der Anbetung verbunden, eben Meditation, auf Inhalte bezogene Erwägung, die das eigene Dasein ins Spiel bringt. Daher unterscheidet sich die christliche Meditation von den östlichen Meditationen. Das sind reine Übungen, die durchaus ihre Nützlichkeit haben, aber nur dann, wenn sie schließlich angewendet werden auf die Inhalte! Und auf die sind wir ja verschworen! Um die geht es uns! Die bloße Übung ist auf die Dauer zu nichts nutze, sondern es muß auf den Inhalt, auf das Mitgeteilte, auf das meinem Dasein Zugesagte hingeordnet sein. Kontemplation heißt Anschauung. Wie jener Bauer zum hl. Pfarrer von Ars auf die Frage hin "Was tust du denn da so lange vor dem Tabernakel?" sagte: "Er schaut mich an, ich schaue Ihn an." Wie der hl. Thomas von Aquin in dem herrlichen Hymnus "Adoro te devote" sagt: "Ich vergehe. Ich verliere mich. Ich nehme ab, und Er nimmt in mir zu." Mit den Worten des hl. Johannes des Täufers ausgedrückt: "Er muß zunehmen, ich muß abnehmen." Das heißt, das entdeckte DU dominiert in mir, wenn es der beherrschende Faktor meiner Existenz ist. So schenke ich mich Ihm, indem ich verweile in Seiner Anschauung.
Dazu gehört Entfernung, Abstand, das Bewußtsein Seiner Entrücktheit, Seiner Souveränität, das Bewußtsein, daß ich Seiner nicht würdig bin, daß ich die Stelle, wo Er ist, eigentlich nicht betreten darf. Das steckt in jeder echten Religiosität: "Herr, geh hinweg von mir, denn ich bin ein sündiger Mensch!" Eine Religiosität, die dieses Erschrecken nicht kennt – da haben wir wieder das Erschrecken. Zu jeder wahren Liebe gehört das Erschrecken. Ein Musikdramatiker der vorigen Jahrhunderts sagte einmal: "Mir zagt vor der Wonne, die mich entzückt." Ein Erschrecken vor dem schauererregenden Mysterium. Aber in diesem Erschrecken liegt zugleich ein ungeheurer Magnetismus. Es zieht mich an, läßt mich nicht los. Ich muß hinschauen. Und jetzt, übertragen auf den Eros: Religion und Eros gehören zusammen, sind aufeinander bezogen, sind in ihrer Tiefe sogar identisch!
Und das hat man ja weithin vergessen, die "anbetende Liebe". Hier wird das Wort "Anbetung" im weiteren Sinne gebraucht. Der geliebte Mensch, der mich erobert, entdeckt, geweckt hat, verwundet hat mit seiner Liebe, dieser neugefundene Mensch einer nie geahnten Herrlichkeit: das ist ja das Erlebnis der erotischen Liebe. Es ist um einen geschehen. Es läßt einen nicht mehr los. Bei Schiller heißt es: "Da faßt ein namenloses Sehnen des Jünglings Herz. Er irrt allein." Völlig ist das vergessen worden, was im hohen Mittelalter, in jener Hoch-Zeit wahrer Kultur in der Mitte stand: die Minne, die anbetende Liebe, der Minnedienst, daß man einsam mit dem Geliebten in der Seele einherging, in seiner Abwesenheit oder in der Entfernung ihn anschaute und ihn auf sich wirken ließ, daß man das, was man an ihm entdeckt, von ihm gehört hat, in sich bewegte. Dieses Moment der Entfernung, des Einsam-Gehens, des Ohne-Berührung-mit-ihm-Lebens, des Sich-eigentlich-nicht-würdig-Findens des Geliebten, seiner wohl ansichtig zu sein, aber darüber hinaus ihn nicht berühren zu dürfen, der Geliebte ein erschreckendes, beseligendes Tabu: das ist völlig verlorengegangen – selbstverständlich auch in der Liturgie verlorengegangen! – im Religiösen wie im Erotischen!
Sofort muß alles gleich besessen, genossen werden. Wie es im Tannhäuser heißt, der Oper, wo Wolfram von Eschenbach das Wesen der Liebe darstellt als einen Wunderbronnen, in dem sich die Sterne des Himmels spiegeln. Und er sagt: "Ich schaue diesen Bronnen an. Anbetend versenke ich mich in seine Herrlichkeit. Aber ich wage nicht daraus zu trinken." Wogegen Tannhäuser rebelliert und sagt: "Nur im Genuß erkenn ich die Liebe!" – Diese falsche Rebellion, gleich den Genuß, gleich alles haben, besitzen, genießen zu wollen ohne Andacht, ohne Entfernung, ohne Entrückung: das ist das fatale Kennzeichen unserer Zeit, die nicht mehr die Höhe und Würde kennt, von der Schiller sagt: "Eine Würde entfernet die Vertraulichkeit"! Heute wird alles gleich vertraulich wie in der neuen, falschen Liturgie – die falsche, kumpelhafte Vertraulichkeit. Die Gemeinschaftsmache dominiert. Und jeder soll zur Kommunion – jeder. Nur immer Kommunion, Kommunion, Kommunion. Mahl, Essen, Trinken, Haben, Besitzen sofort, ohne daß zuvor das heilige Erschrecken, der heilige Schauer, die Kontemplation, die Meditation, die Anbetung sich ereignet.
Und wenn ich anbete und den Geliebten in mich hineinnehme, was ja seinen Höhepunkt hat bei der Wandlung und zwischen Wandlung und VATER UNSER, dann entdecke ich plötzlich, daß der geliebte Mensch eine Leidenschaft hat, die ich mir zu eigen mache, diese Leidenschaft, die in mich eindringt. Und dann weiß ich: Jesus hat eine solche Leidenschaft, die heißt VATER. Darum, indem ich Ihn anbete, gehe ich ein in Sein großes Ziel, in Seine große Tat, in Seinen Einsatz, in Sein Opfer also. Und nachdem ich so mich im VATER UNSER mit Ihm eins weiß, wage ich es dann am Ende als Höhepunkt, als Bestätigung, als Ausdruck des Ersterfahrenen: die Kommunion. Wie es auch in der erotischen Liebe sein soll, daß schließlich die Vereinigung das Ende, der Höhepunkt ist, dem alles andere vorausgeht, als Ausdruck des zuvor Erlebten, Gedachten, Gefundenen, Gewonnenen.
Anbetung, Opfer, Vereinigung: das sind die Stufen, zu denen wir uns bekennen. Offizieller Weise heute nicht mehr. Hier und da muß Christus dafür herhalten, daß eine Fassade errichtet wird, ein "Als-ob", ein Etikett, indem man so tut, als wäre man noch in alten Bahnen, in den ewigen Bahnen, in den uralten und ewig jungen. Es ist eine Trauer für uns zu erleben, wie Christus mißbraucht wird und, wie gesagt, herhalten muß für ein Täuschungsmanöver. Wir wissen, daß man offiziellerweise anders denkt, daß man die Anbetung streicht, im Grunde auch das Opfer, selbstverständlich auch Seine Gegenwart und im Grunde nur eine reine innerweltliche, innermenschliche, gemachte Gemeinschaft sucht, also das Umgekehrte, das Antichristliche! Laßt uns im Geiste der Anbetung und der DENNOCH-Freude im Bewußtsein unseres sicheren Sieges heute und hier anbeten, opfern und kommunizieren. AMEN.
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