Schild der actio spes unica
actio spes unica Pfarrer Milch St. Athanasius Bildungswerk Aktuell

Niederschrift der Predigt von Pfarrer Milch

Erster Passionssonntag 1983

Meine lieben Brüder und Schwestern,

 

GEBET: Wir können unmöglich, Du und ich, morgens aufstehen und einfach in den Tag hinein torkeln. Der Tag ist verloren, wenn wir nicht den goldenen Schlüssel haben, zum Aufschließen und ihn benutzen. Wir haben ihn und sollen ihn benutzen. Andernfalls wird alles rein innerweltlich und damit verloren sein. Denn was wir außerhalb Gottes tun, das ist ins Leere hinein getan, das ist ohne Gewicht und Bedeutung. Den Tag aufschließen, das heißt, den Willensakt setzen, den entscheidenden, und zwar nicht so allgemein wie in manchen Gebetbüchern die "Gute Meinung" formuliert war und ist: "Alles meinem Gott zu Ehren", usw.; das ist zu schwach und zu ungenau. Die sogenannte "Gute Meinung", der Anfangswille, der den ganzen Tag zum Gebet macht, heißt: Ich will alles in Dir vollziehen und erleiden, was ich bin und habe, leide und tue, denke und sage. Alles soll Dir gehören. Übernimm Du mein Leben, lebe Du mein Leben.

Denn Er ist das Haupt, und wir sind die Glieder. Das sind wir seinshaft, völlig unabhängig von dem, was wir erfahren, was wir wahrnehmen, was wir tun, unabhängig von unserer Bewährung. "Seinshaft" – das heißt, ich bin Mensch, unabhängig davon, ob ich mein Menschsein erfahre oder bewähre, ob ich wache oder schlafe, ob ich zurechnungsfähig oder geisteskrank bin, ob ich ein Erwachsener bin oder ein Embryo im Schoße der Mutter, nur mikroskopisch zu erkennen, winzig klein in den ersten Tagen nach der Empfängnis. Welche Gestalt, welche Wahrnehmbarkeit spielt gar keine Rolle; das ist eine eigene Sphäre. Unabhängig davon bin ich Mensch. Diese Sphäre des Seinshaften wird in unserer kulturschwachen Zeit überhaupt nicht mehr gesehen. Der Mensch wird nur noch als etwas Funktionierendes angesehen und soweit geschätzt, wie er funktioniert, wie er sich als Mensch betätigt, bewährt, darstellt, wahrgenommen werden kann usw. Das ist natürlich eine flache, geistfremde, des Geistes unwürdige Sicht des Menschen. Wir müssen wissen, daß der Mensch immer Mensch ist. Du und ich wir sind in Christus, wenn wir uns nicht in wesentlicher Sache gegen Gottes Willen bewußt und frei entscheiden, also keine Todsünden begehen und dadurch der organischen Verbindung mit Christus und des Seins in Christus beraubt werden, was ja das schlimmste Schicksal ist, das Dir und mir widerfahren kann. Wenn das also nicht vorliegt, sind Du und ich in Christus, haben Anteil an Seiner Natur, unser Innerstes hat eine göttliche Beschaffenheit.

Wir sind zu Göttlichem fähig, zu den sogenannten göttlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe, die man besser als göttliche Fähigkeiten bezeichnet. Wir sind dann eingetaucht in Gottes Denk- und Willensvollzug. Das alles vermögen wir, und der Hl. Geist wohnt in uns, wenn wir gefirmt sind. Das ist dann seinshaft der Fall, ganz unabhängig von jeglicher Erfahrung und auch unabhängig davon, ob wir an Gott denken oder nicht.

Nun muß aber dieses Seinshafte wirksam werden im Bereich des Daseins. Man muß zwischen Sein und Dasein, zwischen dem Wesenhaften, Substantiellen und dem bloßen Dasein unterscheiden. Es genügt also nicht, bloß seinshaft in Christus zu sein, sondern Christus will auch unsere Existenz, d.h. den ganzen Umfang unseres Leidens, unseres Arbeitens, unserer Erfahrung, alles das, was wir erkennen, denken, wollen, sagen sowie unsere Beziehungen zu den anderen Menschen. Das alles soll auch Ihm gehören und dazu gehört der tägliche Willensentschluß, der morgens nachdrücklich und klar gefaßt werden muß, sonst ist es ein verlorener Tag in Hinblick auf das, was man tut oder erfährt. Sonst hat das Arbeiten nur den flüchtigen Erfolg, den man unmittelbar wahrnimmt, und der ist schnell vergessen. Dann hat das Leiden nur den Zweck, den es eventuell zur inneren Reifung haben könnte, aber keinen darüber hinausweisenden Erfolg. Wenn aber dies alles bewußt des morgens in Christus hineingegeben wird, dann handelt Christus, wenn ich handele, wenn Du handelst; dann leidet Er, wenn Du leidest; dann denkt Er Dein Denken, will Deine Entscheidungen, lebt Dein Leben, und von Deinem ganzen Dasein gehen die Ströme lebendigen Wassers aus, so daß also, wenn Du Dein Tagewerk vollbringst, von allem was Du tust und leidest, von jedem Wehwehchen, von jedem Nadelstich, von jedem Handschlag, geheimnisvolle Kraftstrahlen ausgehen weit über das hinaus, was man an unmittelbarer Wirkung wahrnimmt! Irgendwo werden Menschen, die Du nicht kennst, die Dich nicht kennen, erleuchtet, aufgerichtet und gestärkt und überhaupt, bis ins Materielle hinein, wird die schon im Geheimen sich entfaltende Verklärung gefördert.

Du bist also von göttlicher Macht, und das ist Dir in die Hände gegeben, weil Du ja doch ein göttliches Wesen bist. Du bist ja nicht mehr nur Mensch, sondern ein göttliches Wesen seit der Taufe und erst recht nach der Firmung. Darum gehen göttliche Strahlen von Dir aus, Energien, dynamische Ströme des Hl. Geistes. Das wird oft gar nicht gesehen, ist aber ein Wesenselement der Erlösung. Dadurch nämlich bin ich frei und im tiefsten unabhängig vom Schicksal. Denn der Sinn meines Lebens hängt von meinem Schicksal gar nicht ab. Wenn ich für den Rest meiner Tage ans Bett gefesselt bin und nicht mehr arbeiten kann, dann ist das ein Leiden in Christus, wenn ich diesen Entschluß gefaßt habe. Und ich muß ihn von Tag zu Tag fassen, sonst geht dieser Entschluß verloren. Ich muß Entschlüsse aufleben lassen, damit sie immer wieder erneut wirken. Da Du dann in Christus bist, gehen von Dir eben die Ströme des Hl. Geistes aus, zum Vater hin und in die Welt hinein. Und damit dies beständig sich ereignet, setzt Du dieses Vorzeichen am Morgen und torkelst nicht in Deinen Tag hinein. Es genügt dazu ein kurzer, aber nachdrücklicher Entschluß: Ich bin Dein, Du bist Mein, übernimm alles, alles Dein – nachdrücklich.

Viele klagen: Ich bin den ganzen Tag dermaßen gefordert, ich komme nicht zum Gebet. Beruhige Dich doch. Durch jenen nachdrücklichen Entschluß wird alles zum Gebet, wird göttliches Tun, zum Vater hin zur Ehre des Vaters und zum Heil der Menschen. Es gibt ja nicht zwei getrennte Welten: Hier die Erde, dort der Himmel; hier Natur, dort Übernatur. Es steht alles in einem Zusammenhang.

Nur religiös zu sein – im engeren Sinn des Wortes – ist sehr unreligiös. Die wahre Religiosität erstreckt sich auf alles. Und darum bist Du immer im apostolischen Einsatz, auch wenn Du keine Gelegenheit hast, direkt apostolisch, missionarisch usw. tätig zu sein. Manche meinen, der Gottesdienst finge erst in irgendwelchen konkreten, innergemeindlichen Aufgaben an. Das ist ja der moderne Unsinn in der Firmvorbereitung, daß den Firmlingen bzw. den zu Firmenden gesagt wird, sie würden eben durch die Firmung für Funktionen innerhalb der Pfarrgemeinde vorbereitet. Und die ganzen Blüten kennen wir ja dann: Meßdienerinnen, Lektorinnen, Kommunionmütter usw. und Teilnehmer an allen möglichen synodalen Gremien. Das wimmelt dann von lauter Funktionen für angeblich mündige Christen. Im Grunde ist es nur ein dummes Geschwätz, das sich da ausbreitet. Denn die Leute werden erst mündig, wenn sie einsehen, daß sie endlich auf die ständigen Meinungsbildungen verzichten müssen, denn je mehr Meinung, desto mehr Unsinn schwirrt durch die Luft. Wenn die Leute endlich aufhören Meinungen zu produzieren, haben sie die Chance, mit der echten Mündigkeit zu beginnen. Das ist das Schreckliche, die Hypothek, die auf uns lastet: Jeder hat über alles seine Meinung. Vor allem in theologischen Bereichen hat jeder stramm seine Meinung und seine Ansicht und blockiert sich dadurch den Weg zur Einsicht und zur Weisheit.

Wenn er nämlich keine Ansichten hätte, könnte er Einsichten gewinnen! Wenn er keine Meinungen hätte, könnte er sich öffnen, um zu hören und zu empfangen, könnte er staunen und fragen, und dann würde er weise. Aber weil er lauter Ansichten hat, blockiert er sich selber. Weg damit! Weg mit diesem schrecklich demokratistischen Gewirr und mit dieser demokratistischen Hypothek, die uns selber hemmt und einschränkt.

GEBET: Du hast Dein privates Leben, und Dein ganzes privates Leben gehört Christus, und Christus gehört Dir. Das geht den Pfarrer nichts an und auch niemanden sonst: Du bist Du. Du sollst Dich nicht mit anderen vergleichen und andere nicht mit Dir. Du hast Deinen Weg. Das ist der Schlüssel zur Demut und zur Weisheit. Deine Gottesbeziehungen können nicht innerpfarrlich, innersynodal und innerhalb einer Gruppe behandelt werden. Wenn man seine Gotteserfahrungen gegenseitig austauscht, dann wird es bekanntlich tief unappetitlich.

Du gewinnst nur dann Ehrfurcht vor dem anderen, wenn Du Ehrfurcht vor Dir selber und vor Deinem eigenen, unverwechselbaren Weg hast. Nur dadurch, durch diesen scheinbaren Hochmut und durch diese scheinbare Kommunikationsfeindlichkeit, schaffst Du Dir überhaupt die Möglichkeit, den anderen zu ehren und zu lieben. Wenn Du hingegen alles im Miteinander abwickeln willst, dann kommst Du weder dazu, Dich zu lieben, noch den anderen, sondern da gibt es nur ein schreckliches kollektivistisches Gemisch und einen widerlichen Brei.

Das sind Überlegungen, die wesentlich zum Gebet gehören. Selbstverständlich sollte man nun diese Entscheidung, von der ich gesprochen habe, unter Tage, wenn möglich, durch kurze Stoßgebete erneuern und in Erinnerung rufen. Stoßgebete fallen nicht auf, kosten keine Zeit, aber sie erneuern den Geist und bedenke, Gefühl spielt keine Rolle. Im Gegenteil, das Gefühl kann einen beirren, Gefühle können Irrlichter sein. Man meint, Gott anzubeten und betet im Grunde nur seine eigenen Trostgefühle an, die man dabei hat, seine eigenen Gebetswonnen. Weg damit! Gefühl ist nicht gefragt im Religiösen. Wenn Du es hast, sei dankbar. Wir brauchen immer wieder einmal zwischendurch ein Bonbon. Aber darauf solltest Du gar keinen großen Wert legen. Es kommt zunächst einmal nur auf das Wollen an, auf die nackte Entscheidung. Allerdings darf es damit nicht sein Bewenden haben. Immer wieder sollst Du die Stille suchen, um zu Dir selbst kommen zu können in der langen Hingabe. Denn es bedarf des langen Atems und einer Zeit, die man sich erobert. Das ist nicht jeden Tag möglich, aber man sollte sich bestimmte feste Punkte sichern und sich verbindlich an sie halten.

Liebe, meine lieben Freunde, ist erfinderisch. Wer unbedingt will, erobert sich die Stille. Irgendwann ist es möglich, und wer darunter leidet, daß er die Stille nicht findet, der sei getröstet. Er wird irgendwann diese Zeit finden können, um sich dann hinzugeben, um die Schrift zu lesen, um Ihn in seiner Stille geheimnisvoll zu Wort kommen zu lassen im stillen Kämmerlein, was nichts anderes ist als das Kämmerlein der Seele, das Brautgemach der Seele, wo er Christus begegnet und wo er seine ganze Not vor Ihm ausbreitet; in Christus den Vater ehrt und verherrlicht und die Not der Menschheit einbringt.

Nun, das kannst Du nicht aus Dir selber. Dazu bedarfst Du der großen Hilfe. Und wer ist der große Helfer? Der Hl. Geist! Wenn Du nicht weißt, wie und was Du beten sollst, dann tritt Er für Dich ein, mit unaussprechlichen Seufzern. Der Hl. Geist wird auch bezeichnet als die Unbefleckte Empfängnis in Gott, denn im Hl. Geist empfängt der Vater den Sohn und der Sohn den Vater. Der Hl. Geist ist es, der Deine Seele befähigt zu empfangen. Beten heißt ja wesentlich empfangen, hören, sich hinhalten, sich öffnen und Ihn zu Wort kommen lassen – eben nichts erwarten, sondern warten. Wer krampfhaft auf irgendeine Eingebung wartet, also eine Eingebung erwartet, dem wird sie nicht kommen. Wer gar keine erwartet, sondern nur auf den Augenblick wartet, da Er spricht, der wird zu seiner Stunde vom Herrn große Erfahrung empfangen.

Der spiegelnde Bronnen des Hl. Geistes ist Maria. Sie ist das vollkommene, widerstandslose, vorbehaltlose, reservelose Medium des Hl. Geistes. Denn wie der Vater nur im Hl. Geist den Sohn empfängt, so mußte Maria vom Hl. Geiste ganz durchdrungen werden, damit auch sie als Mutter den Sohn empfangen konnte. Und dieses "vom Hl. Geist völlig durchdrungen sein" stellt sie Dir und mir fürbittend zur Verfügung. Im Vertrauen auf sie können wir darum getrost beten, vor allem, wenn wir vor unlösbaren Problemen stehen, vor einem Dilemma, wo wir nicht aus noch ein wissen. Hier lehrt uns die Erfahrung: Gib es Maria anheim, Sie findet die Lösung. Ihre allmächtige Fürsprache öffnet die Tore und schafft den Ausweg: Klammere Dich an Maria!

So etwa zeichnet sich der Weg Deines Gebetes ab. In Ihm, durch Ihn und mit Ihm, zum Vater hin, und dieses "in Ihm sein" und Ihm begegnen, des Christus festliches Antlitz in Dir aufstrahlen lassen, das wirkt Sie, die Mittlerin aller Gnaden. Ihr Mittlertum ist kein "dazwischen". Der Begriff "Mittler" im Neuen Bunde hat nicht etwas mit "dazwischen" zu tun. Sie schiebt sich nicht zwischen Dich und Christus. Einige meinen, ich will Christus unmittelbar begegnen und will nicht noch zusätzlich eine Mittlerin. Wie falsch gedacht. Was sich zwischen Christus und Dich schiebt, das ist in Dir selber. Sie räumt es aus, und Sie stellt Ihre Christusunmittelbarkeit Dir zur Verfügung. Sie ist Deine Christusunmittelbarkeit. Das heißt "Mittlerin aller Gnaden" und "Miterlöserin".

So gehe hin und versuche das Deine. Du brauchst keine komplizierten Verrenkungen und Klimmzüge zu machen in Konzentrationsübungen, in berserkerhaften Gewaltanstrengungen. Du brauchst Dich nur hinzugeben und ein endloses Vertrauen zu haben und alles ist gut.

"Sei getrost, Ich bin's", sagt Er, "fürchte Dich nicht". AMEN.

 

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