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actio spes unica Pfarrer Milch St. Athanasius Bildungswerk Aktuell

Niederschrift der Predigt von Pfarrer Milch

2. Fastensonntag (Reminiscere) 1983

Meine lieben Brüder und Schwestern,

 

die drei Jünger, die Jesus mit Sich auf den hohen Berg nimmt, auf den Berg großer Erkenntnis, die engst Vertrauten, sind völlig selbstvergessen beim Anblick dessen, was der Herr ist. Denn nun schauen sie Seine Herrlichkeit. Es ist ein Höhepunkt der Erlösung. Morgen in Mainz werde ich näher darauf zu sprechen kommen. Denn der Mensch, der auf sich selbst keine Rücksicht mehr zu nehmen braucht, der vollkommen seiner sicher ist, der in keiner Sorge mehr lebt, der ist erlöst im vollen Sinne. Er hat sich selber gefunden und ist frei. Er hat den gefunden, den seine Seele liebt. Petrus sagt daher nicht: "Hier ist gut sein für uns. Laßt uns sechs Hütten bauen", sondern drei: "Dir eine, Moses eine und dem Elias eine." Er vergißt sich völlig. Die Jünger vergessen sich. Sie schauen nur. Das Schauen ist die vollkommene Vereinigung. Das Schauen ist die Loslösung von uns selbst. Und schon üben wir's im beschauenden Gebet der Hingabe: Er sieht mich an, ich sehe Ihn an. In diesem Gebet nimmt der Mensch schon Anteil an dem, was sein wird. Er verliert sich, er vergißt sich. "Quia te aspiciens totum deficit – Mein Herz und ich selber und meine Seele vergehen bei Deinem Anblick". Darum wird auch mit Recht die ewige Glückseligkeit genannt "die seligmachende, die überaus glücklich machende Anschauung – die 'visio beatifica'".

Wer aber gesellt sich zu Jesus? Moses und Elias, und sie reden mit Ihm, die großen Vorläufer, der Alte Bund, das Gesetz und die Propheten. Und sie reden von dem Ende, das Er in Jerusalem nehmen soll. Es ist also ein schwermütiges Gespräch zwischen den dreien, im Glanze verhüllt die tiefe Trauer, die aus der Liebe kommt. Es ist alles eins. Die große Trauer um die Menschen, die nicht wollen, die es nicht einsehen, die sich versperren, die sich nicht hingeben wollen, die das überragende, atemberaubende Angebot nicht annehmen, das macht den Herrn mitten in Seiner Offenbarung im Gespräch mit den Vertrauten des Alten Bundes voll der Trauer. Guardini sagt mit Recht: "Es liegt ein Schatten über den dreien." Sie wissen alle etwas zu sagen von dem, was das Herz dessen schwer macht, der eine große und befreiende Botschaft zu verkünden hat.

Denn die Menschen wollen weithin gar nicht groß und frei sein. Sie wollen nicht über sich hinauswachsen. Sie wollen keine unendliche Perspektive. Sie wollen gemütlich, behaglich, eng, klein, sicher in ihren erkennbaren und wahrnehmbaren Grenzen bleiben, ja sie wollen weithin die Grenzen, in denen sie sich aufhalten, noch verstärken und ausbauen, sich nach allen Seiten hin verstecken, absichern, abschirmen, um es gemütlich zu haben, um sich hier einzurichten, um hier eben ihre Hütten zu bauen. Der Anspruch der Größe, der Anspruch der Freiheit und das Angebot der Größe und der Freiheit stößt weithin auf taube und gelangweilte Ohren. "Was nützt mir diese Aussicht? Dafür kann ich mir nichts kaufen. Ich verlasse mich auf das, was ich mit meinen eigenen Händen schaffe. Ich verlasse mich auf das, was ich berechnen, was ich ringsum sehen kann. Daran glaube ich." Aber wenn mir atemberaubend Gewaltiges, Erregendes gesagt wird, wenn mir Schicksal verkündet wird, das mich aus meiner Enge herausreißt und im ewigen DU landen läßt, dann mögen viele nicht. Sie halten es weithin für überspannt, für überzogen, für einen unberechtigten Anspruch. Sie wollen den, der ihnen sagt, was sie hier und jetzt zu tun haben. Und dann tun sie's und geben sich mit dem, was sie getan haben, zufrieden. Sie wollen weithin gar nicht frei sein. Wie der Großinquisitor sagt zu Christus, der ihm erscheint, stumm, schweigend steht. Und je mehr Christus im Schweigen verharrt, desto mehr redet sich der Großinquisitor, der große Mißversteher des Christus in Rage. "Du verlangst von den Menschen zuviel. Sie wollen ja gar nicht die Freiheit, die Du ihnen anbietest. Sie wollen an der Leine geführt sein. Sie wollen Brot und Spiele. Sie wollen unter der Knute gehalten werden. Sie wollen einen irdischen Heros und Götzen, dem sie nachjubeln und folgen. Und wir, wir sind die eigentlichen Wohltäter der Menschen. Wir kommen, um ihnen nichts anderes zu sagen als das: Tut jenes und tut dies. Das WARUM, den tieferen Sinn, die Gesinnung, die Tiefe des Herzens, das, was senkrecht lotet im Inneren des Menschen, davon wollen die Menschen gar nichts hören. Sie wollen sich ins Koordinatensystem dessen einbetten, was sie hören und sehen – aus." –

Diese Erfahrung machen die Propheten. Diese fürchterlichste Erfahrung macht der, der die größte Freiheit bringt und das größte Erbarmen. Moses – es steigert sich ja –, Moses bringt das Gesetz des Herrn auf steinernen Tafeln. Die Menschen des Tiefganges, des wachen Sinnes, die die Gebote so lesen, wie sie gelesen sein wollen, merken, daß sie nicht imstande sind, die Gesetze zu erfüllen und rufen das Erbarmen des Herrn an. Und sie sollen merken, daß sie nicht imstande sind, die Gebote ihrem Sinn nach zu erfüllen. Nur den Herrn anzubeten, Ihn allein, der keine Götter neben Sich haben will: was das bedeutet, das verstehen die, die guten Herzens sind. Aber die Masse versteht es im Sinne einer äußeren Auflage. Morgens und abends und mittags beten, Gebete verrichten. Hab ich sie verrichtet, bin ich aus dem Schneider und kann wieder meine Kreise ziehen. Und dann kommen die Propheten und drängen auf die Gesinnung, auf die innere Einstellung, auf die innere Hingabe und werden darum getötet und abgelehnt. "Wer hört unser Wort?" schreit geradezu in Bedrängnis Isaias. Und es ist der große Notschrei aller Propheten!

Sie wollen nicht wissen, worum es eigentlich geht. Sie tun das Ihre und haben ein gutes Gewissen. Und gegen die metallene Wand dieses "guten Gewissens" rennen die Propheten umsonst an und scheitern. Von der Masse werden sie ausgespien. Sie haben nichts zu bieten, was der Masse gefällt, nicht einmal, daß sie wie eine Hammelherde geführt werden. Und die Menschen von heute, denen man erzählt, sie seien frei, haben die Freiheit ganz gerne, die keine ist und die sie in eine Hammelherde verwandelt. Betrachtet die Massen von heute. Alle haben sie das Etikett "Freiheit" aufgeprägt, aber alle sind sie unfrei, werden gelenkt, werden gedacht, werden gemeint, werden gelebt, merken es nicht und fühlen sich um so wohler dabei. Und dann kommt der Eine, dann kommt Gott selber, der die Herzen und die Nieren durchforscht. Er richtet die Senkrechte endgültig auf. Er will die Menschen nicht in ihrer selbstgerechten Waagerechten belassen. Denn wer nach rechts und links, nach hinten und vorne sich orientiert, der vergleicht, der richtet und kommt vor seinem verblendeten Herzen gut dabei weg, denn andere tun ja noch viel Schlimmeres als er. Er kann sich mit Behagen moralisch entrüsten über die anderen. Und es ist so schön, so gemütlich, beisammen zu sein und sich moralisch über andere zu entrüsten. Kaum ein "Five o´clock"-Tee, kaum eine gemütliche abendliche Begegnung, die nicht zu würzen wäre mit einer deftigen moralischen Entrüstung. Wenn die ausbleibt, ist es doch fürchterlich ungemütlich. Entrüsten wir uns etwas moralisch! Die anderen sind dran, und man selber ist der Entrüster, der Richter und findet, daß man noch recht gut dabei wegkommt.

Und Christus ist gekommen, um gerade dies mit Stumpf und Stiel auszumerzen. Er läßt die Menschen wissen, daß sie zum Bösen geneigt sind von Jugend auf. Das Wort, das am Anfang steht und das der Herr dem Kain sagt, das offenbart der menschgewordene Gott rücksichtslos. Ihm sind sie alle, du und ich und wir, heimzuholende, verlorene Sünder, zu allem Bösen geneigt und im Harten, das wir uns zufügen, um nicht bestraft zu werden, neidisch auf die, die sich mehr gönnen an Unerlaubtem. Diesen Neid will Christus ausmerzen. Er dringt in die Tiefe des Menschen, die ins Unendliche weist. Heilend will Er einkehren in unser Innerstes, in unser Herz, damit das Licht leuchtet in der Finsternis, dort, wo wir armselig sind, wo wir böse Gedanken hegen, wo wir uns die Rachsucht ausmalen, wo wir schadenfroh sind, mitleidlos im Sinne des Verweigerns, mitzuleiden mit dem jeweils anderen, der mir begegnet, gleichgültig gegen Gott, seiner selbst sicher, verhärtet. Die so leben, die interessiert nicht die gottmenschliche Predigt. Sie wollen Oberflächliches hören, Sentimentales. Sie wollen gesagt bekommen, was sie zu tun haben, oder Schimpfkanonaden hören über die allgemeinen Zustände, von denen sie, die Hörer, ja, ihrem Wahne nach, glücklicherweise ausgenommen sind. Aber nun kommt Christus und sagt jedem einzelnen: "Dich meine Ich", und "du mußt erlöst werden", und "du Pharisäer, Hochwohlgeborener mit der weißen Weste bist um nichts besser, als der Haderlump, dieser schmierige Verbrecher Zachäus, bist um nichts besser, als die Dirne, die sich jetzt am hellen Tage zu Mir ins Gastzimmer wagt und sich zu Meinen Füßen niederläßt und ihre ganze Not ausweint. Um nichts bist du besser." Und Er sagt dieses Wort nicht, um eine waagerechte Kollektivität aufzurichten, sondern gerade um jeden einzelnen in die Senkrechte hinaufzureißen und zur Erkenntnis seiner totalen Unzulänglichkeit zu führen. "Ihr alle seid Brüder", d.h. nicht "reicht euch die Hand, macht´s euch untereinander gemütlich, seid eine recht schöne Gemeinschaft", und wie all diese billigen Sprüche und Arrangements heißen, sondern: Erkenne du, daß du der Bruder des letzten Zuchthäuslers bist; erkenne du, daß du die Schwester der letzten Dirne bist. –

Das fordert den Menschen heraus, sein Innerstes zu offenbaren und dem Erbarmen des Herrn preiszugeben. Darum, weil Er die Senkrechte aufrichtet und von den äußersten Ende menschlicher Möglichkeiten her die Liebe zum Vater liebt im Namen der allerschlimmsten Verbrecher, der Mörder, wird Er gehaßt. Im Namen all dieser, im Namen aller Finsternisse der Menschenseele liebt Er den Vater und ist in jedem verstohlensten Winkel menschlicher Gemeinheit schon da, schon gegenwärtig. Auch der letzte, verworfenste öffentliche Sünder braucht keinen Schritt zu Ihm zu tun, zumal er es nicht kann, und hört Sein Wort: "Ich bin schon da." Sehen Sie, meine Freunde, darum muß Gott gemordet werden von denen, die sich an die Waagerechte klammern. Darum findet Seine Liebe aus innerer Notwendigkeit ihr Ende am Kreuz, am Schandgalgen. Das Kreuz ist die unausweichliche Konsequenz gottmenschlicher Liebe. Es kann nicht anders sein. Und das ist im Grunde das Sühnende; nicht daß der Vater Blut sehen will, daß Er rachsüchtig ist und Seine Rachsucht gegenüber der Menschheit nun an Seinem Sohne austobt, wie es manchmal hingestellt wird, sondern der Vater überläßt Seinen Sohn und damit letztlich Sich selber als Menschen in die Verlorenheit, die die Menschen selber gewählt haben, um die Menschen da herauszureißen in die Senkrechte einer ganz neuen, überlegenen Schau, einer Überschau aus der Ewigkeit und Unendlichkeit in die große Weisheit hinein und in die große Macht und Herrlichkeit, die jetzt noch verborgen ist in unserem Kreuze. Und alle Kreuze aller Zeiten hat Er auf Sich selbst vereinigt, der da, jeden Bruchteil einer Sekunde erleidend, mit wachen Sinnen Jahrtausende erleidet. –

Davon ist die Rede mit Moses und Elias: die Trauer über die verstockten Herzen, Liebestrauer, Liebesweh über die Menschen, die in ihrem Hochmut, der dasselbe ist wie Kleinheit und Enge, verharren wollen. Der geliebte Mensch, für den Er Seinen letzten Blutstropfen zu vergießen bereit ist, will Seine herrliche, erlösende Liebe nicht, weil sie unbequem ist; denn das Schönste und Herrlichste ist unbequem und reißt in erbarmunglos unendlicher Barmherzigkeit alle Hüllen weg, um jeden Menschen vor der Nacktheit seiner eigenen Bosheit stehen zu lassen. Das wollen sie nicht. Und sie wollen nicht, daß das Erbarmen in diese Nacktheit eindringt. Deshalb wird Gott gemordet. Ein Schatten liegt über Tabor, ein Schatten auch über dem gewaltigen Geschehen, dem Taborgeschehen, daß sich jetzt gleich ereignen wird. Der Menschensohn ißt und trinkt alle Not der Menschen und all ihre Verzweiflung und Gottesferne und ihren Tod und ihr ungerechtes Schicksal. Als Priester kommuniziert der Priester bei der Opferbereitung, dort, wo er alle Dunkelheiten hineinsammelt auf Patene und in den Kelch. Und dann kommt die große Verwandlung, die denen zuteil wird, die doch wollen – den Auserwählten. Das ist der Weg, der dir und mir gewiesen ist, ein ständig unruhiger Weg, kein gemütlicher, kein Pflichterfüllungrahmen, sondern eine ständige Dynamik, die den Menschen seine eigene Größe, für die er bestimmt ist, spüren läßt und die der kleine, widerspenstige Geist nicht will. Gleich kommt es – Sein Opfer, Sein großes Angebot an dich. AMEN.

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