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actio spes unica Pfarrer Milch St. Athanasius Bildungswerk Aktuell

Niederschrift der Predigt von Pfarrer Milch

19. Sonntag nach Pfingsten 1984

Meine lieben Brüder und Schwestern,

 

es heißt heute in der Oration: "Allmächtiger und barmherziger Gott, halte gnädig alles Widrige von uns fern, damit wir ohne Hemmungen für Seele und Leib mit freiem Herzen Deinem Dienst obliegen." – "Ohne Hemmungen mit freiem Herzen": Was heißt das? Was ist das "Widrige", das von uns ferngehalten werden soll, das, was wir uns gerne so selber bereiten?

Es geht so schwer ein, was es mit der Erlösung auf sich hat. Es beruht zum Teil auf einer weithin falschen religiösen Erziehung, auf einer falschen seelsorglichen Einstellung früherer Zeiten. Wir müssen ja, wie gesagt, unterscheiden zwischen der Bedingung und der Ursache des Unheils, das seit zwanzig Jahren den offiziellen Raum der Kirche heimsucht. Die Ursache ist der böse Wille freimaurerischer Infiltratoren, die also von außen ihre falsche, antichristliche Ideologie in den Innenraum der Kirche mittels des Konzils hineingebracht haben und die nun den Innenraum, den offiziellen Raum der Kirche beherrschen. Das ist die Ursache! Die Bedingung, daß das überhaupt gelingen konnte, ist eine unzureichende und weithin irreführende seelsorgliche Praxis seit Jahrhunderten. Ohne diese irreführende, muffige, engstirnige, unzulängliche seelsorgliche Praxis hätte der antichristliche Progressismus keine Chance gehabt! Das müssen wir also sehr genau unterscheiden. Und zu dieser falschen seelsorglichen Praxis gehört bzw. aus ihr folgt die Vorstellung, "man müsse erst irgendwo hingelangen". Immer wieder hört man: "Ich will mich auf den Weg da und dahin machen, damit mir dies oder jenes gelinge. Ich will auf dem Wege sein zur Christusfreude, auf dem Wege sein zur Erlösung, zum Erlösungsbewußtsein, zu dieser oder jener christlichen Einstellung."

Das ist eine völlig falsche, krampfige, Unlust und Freudlosigkeit hervorbringende Doktrin! Wenn das so wäre, wenn Du und ich erst irgendwohin müßten, dann "Gute Nacht"! Dann wären wir verloren. Dann wäre alles zu spät!

Gott sei Dank, und darin liegt ja die Erlösung: wir müssen nirgendwohin! Er ist da! Wir tun nichts, um zur Freude zu gelangen, sondern wir gelangen zu allen denkbaren Vollkommenheiten, weil die Freude da ist und wir sie schon haben.

Ich bringe immer wieder mal das Beispiel von dem, der in der Lotterie eine Million gewonnen hat. Er hat die Million. Und jetzt stellen Sie sich folgendes Kuriosum vor: Der Betreffende, der die Million gewonnen hat, fühlt sich aufgrund dieses Gewinnes und dieser Freude verpflichtet, sich nun tagtäglich aufzuerlegen, diese Freude sich mit akrobatischen Konzentrationskunststücken bewußt zu machen. "Ich muß mir heute mindestens fünfmal darüber bewußt werden, daß ich eine Million gewonnen habe, um in die richtige Freude zu kommen. Ich bin auf dem Wege hin zur Freude darüber, daß ich eine Million gewonnen habe." Wenn einer so reden würde, würde man mit Recht reagieren mit der Bemerkung, daß er sie nicht mehr alle hat. Aber der Christ reagiert weithin ähnlich: "Ich muß dahin gelangen, zur christlichen Freude. Ich muß ein Gefäß werden. Ich muß dieses oder jenes werden."

Du liebe Zeit, das sieht ja danach aus, als hinge die christliche Erlösungsfreude von dem ab, was Du tust, was Dir gelingt, von Deinen Wegen, von Deinen Anstrengungen, Unternehmungen, Selbstüberwindungen, den Akten, die Du setzt, usw. Da wären wir ja gar nicht erlöst! Die Erlösung ist die Voraussetzung für alles andere, was dann kommt an Vervollkommnung. "Ich weiß, Er gehört mir. Er will mich. Er stellt Sich mir zur Verfügung – restlos, total." Er will mich ohne "Weil", ohne "Warum", von meiner Seite her. Er will mich, weil Er mich will! Er liebt mich, weil Er mich liebt! Er liebt mich wie ich bin und wo ich bin! Und wo ich stehe, da ist Er schon. Er ist da!

"Ich muß zu Christus gelangen": Du liebe Zeit! Dann gelange mal hin. In Tausenden von Jahren kommst Du keinen Millimeter weiter! Es wäre eine fatale Geschichte, wenn wir zu Christus gelangen müßten. Er ist gekommen: das ist doch die Erlösung! Die Freude leitet sich von dem ab, was Er tut und ist. Er gehört Dir! Und dies zu wissen ist doch die Freude! Das ist doch identisch mit der Freude! Zu wissen, daß Du eine Million gewonnen hast, ist doch in sich die Freude. Wenn Du Dich darüber ärgerst oder nicht freust, dann stimmt irgendwo was nicht. Das ist ein Zeichen von Pathologie. Aber Du weißt doch, Christus gehört Dir. Gott will Dich, liebt Dich, versteht Dich! Da ist ein DU, ein allmächtiges, unendliches, flammendes Du, allwissend, das sich für Dich total verschwört, es auf Dich absieht, für Dich entbrannt ist, Dich bis ins Tiefste versteht, selbstlos will.

Denn wer im höchsten, absoluten Selbstbesitz ist, kann einzig die absolute Selbstlosigkeit vollziehen. Nur wer Seiner sicher ist und nur in dem Maße, wie ich meiner sicher bin, kann ich mich freigeben und fallenlassen. Das Sich-fallen-Lassen kommt aus dem totalen Vertrauen. "Wenn das Samenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein. Fällt es aber in die Erde und stirbt, dann bringt es viele Frucht." Wenn es aber ängstlich an sich selber festhält und sich absichert aus Angst, dann kann es nicht selbstlos sich fallen lassen. Dann kann es sich nicht verlieren. – "Wer sein Leben verliert, wird es gewinnen." Wer es krampfig festhält, wird es verlieren.

Nun: Gott, der absolut Sichere, der absolut im Selbstbesitz Befindliche, aus Sich selbst Seiende, kann die höchste Selbstlosigkeit und die höchste, absolute, selbstvergessene Hingabe vollziehen. Er vollzieht sie in der Menschwerdung, im Vergießens Seines letzten Blutstropfens – und das für Dich, total für Dich! Ich wiederhole es immer wieder und werde es auch immer wiederholen. Denn diese wichtigste Wichtigkeit kann gar nicht oft genug eingehämmert werden und wird leider am allermeisten immer wieder vergessen!

Immer wieder dieses "Wir". Immer wieder dieses "die Menschen", "wir Menschen", "die Menschheit", Christus ist "für uns" gestorben, Gott ist "für uns", für "die Menschen" Mensch geworden und am Kreuze in Schande und Verzweiflung verblutet. Immer wieder dies, was dann unwillkürlich – mindestens unbewußt – die Vorstellung erweckt, als bekäme ich einen Teil davon ab, als wäre ich mit Hinblick auf Christus ein "Auch", als hätte Er vor Sich eine Versammlung und jeder hätte nun etwas davon, daß Christus gekommen ist, da ist und Sich schenkt und hingibt.

Nein! Ich habe gar nichts davon, sondern ich habe dies alles ganz, total, als wäre ich allein, als gäbe es nur mich! Denn Gott ist unteilbar, also gehört Er mir ganz! Und Du tust gut daran, Dir das immer wieder zu sagen, immer wieder zu suggerieren: Das alles gehört Dir!

Das Glaubensbekenntnis mit seinen Inhalten ist Deine höchst private, ureigenste, nur für Dich gedachte Sache. Der ganze Kosmos ist eigens Dir. Von da ab erst kannst Du Dich dann ganz aus dieser Fülle heraus, Fülle schenkend, das Ganze schenkend, dem anderen hingeben, ausliefern, preisgeben "im Dienste". Deshalb wird hier der "Dienst" mit dem "freien Herzen" in unmittelbaren Zusammenhang gebracht – "freies Herz".

Aber bei den meisten schwirrt es: "Ich muß, ich muß dies, ich muß das. Ich muß meine Aufgaben machen. Ich muß etwas hersagen." Gott, der Weltenschulmeister, der kosmische Lehrer, hat vor Sich die kosmische Klasse, die Schulklasse, und verteilt Seine Noten und guckt zu, wie wir nun unten uns vor Ihm betragen und schaut zu, inwieweit es uns gelingt, und verteilt danach die Zensuren.

Sie haben es schon tausendmal von mir gehört, daß das eine antichristliche, tödliche Vorstellung ist, aber ich wiederhole es, weil ich genau weiß, daß diese Vorstellung im Unterbewußtsein trotzdem festsitzt! "Er schaut zu, wie ich's mache. Und dafür bekomme ich von Ihm Belobigung oder Tadel, Prämie oder Minuspunkte": Diese Ansicht sitzt furchtbar fest!

Und daraufhin geschieht es, daß die Christen ein freudloses, bleiernes Leben führen. Dauernd schauen sie auf das, was sie selber tun und was ihnen gelingt und ob es ihnen gelingt, wie sie das Akrobatenkunststück der Konzentration hinbekommen haben oder nicht, wie oft sie gebetet haben, ob sie da gesündigt haben, dort gesündigt haben, was ihnen gelungen ist. Wie oft habe ich gehört, daß jemand sagte: "Ach, es ist furchtbar. Heute morgen bis etwa zwölf Uhr ging alles so gut und ich war so froh. – Baff: Schon ging wieder etwas schief. Und dann war ich so deprimiert und geschlagen. Da stand ich wieder mit leeren Händen da."

Das ist so ein klassisches Beispiel für einen, der es überhaupt nicht kapiert hat, von Grund auf nicht verstanden hat; als hinge unsere Erlösungsfreude auch nur im geringsten von dem ab, was wir tun, was uns gelingt. – Er liebt Dich doch, weil Du sündigst; nicht nur "obwohl", sondern "weil"! Er macht doch keine spießerhaften, pharisäischen Unterscheidungen zwischen Braven und weniger Braven und Bösen.

Diese Ironie wieder des Herrn: "Hole sie alle herein, Gute und Böse." – Die Unterscheidung gibt's ja gar nicht. Jeder von uns ist gut und böse, von Grund seiner Existenz auf, Du und ich: böse! Die letzte, die allerletzte, für das ewige Heil oder Unheil entscheidende Frage "Gut oder böse?" ist ja in diesem Zusammenhang gar nicht gestellt. Da heißt "gut": "JA"-Sagen zu dem Sich anbietenden Christus; und "böse" heißt: "NEIN"-Sagen, ich kann auf Sein Erbarmen verzichten, weil ich es selber hinkriege. Das ist das Böse in sich, das die Hölle mit sich führt!

Aber: Weil ich böse bin, weil ich Sünder bin, weil mein Tagwerk brüchig ist, weil ich, wenn ich ehrlich mit mir umgehe, abends nur Scherben sehe: genau deswegen, nicht trotzdem, liebt Er mich, denn "wo die Sünde überhand nimmt, wird die Gnade überschwenglich", Sein Erbarmen, Sein bedingungsloses, absolutes Erbarmen, das von der Sünde angezogen wird wie von einem Magneten, nicht weil Er die Sünde liebt, aber den Sünder grenzenlos. Also gehört Er Dir bedingungslos. Er ist da! Dann nimm's doch endlich zur Kenntnis! Dann geh doch endlich davon aus!

"Ja aber ich muß dahin kommen, eine reine Schale, durchsichtig, zu werden. Ich muß dahin kommen, in der Gegenwart Gottes zu leben. Ich nehme mir vor, in jedem Christus zu sehen." – Und dann kreise ich dauernd um diesen Vorsatz und abends frage ich mich, wie oft ich heute in dem, der mir begegnet ist, Christus bewußt gesehen habe. – Selbstverständlich weithin Fehlanzeige: Baff, miese Stimmung, wieder nicht gelungen! Das alles ist doch ein fürchterlicher Krampf!

Am Anfang steht der Glaube, d.h. das felsenfeste Wissen: Er ist mein! Ich bin ganz meinem Geliebten, mein Geliebter ist mein – Er, der auf Lilientriften weidet. – "Ja, aber dann will ich beten. Und ich bin so zerstreut, und mein Gebet gelingt gar nicht."

Da steckt's wieder: Der Schulmeister-Gott guckt zu, wie mein Gebet gelingt, ob ich zerstreut bin oder ob's gut hinhaut. Wenn es gut hinhaut, bekomme ich eine Eins, wenn ich zerstreut bin, kriege ich eine Fünf aufgebrummt oder eine Sechs. – Du liebe Zeit! Wenn Dir Dein Gebet nicht gelingt, dann ist das doch ein Kreuz! Du willst doch beten! "Beten wollen" ist Gebet!

Was stellst Du Dir denn unter Gebet vor? – Die meisten meinen, das sei eine ununterbrochene Aneinanderreihung von Sätzen. Bei uns noch in der Grundschule hieß es: Sätze bilden. Ich weiß nicht, ob das heute noch so Brauch ist im Deutschunterricht in der Grundschule, aus diesen oder jenen Worten Sätze zu bilden. Für viele ist das Gebet so eine Art Aufgabe, Sätze zu bilden, ununterbrochen einen Satz an den anderen zu reihen und ununterbrochen auf Gott einzureden, so daß Er schon gar nicht zu Wort kommt. Oder man sagt etwas auf – Aufgabenstellung: Auswendig lernen oder etwas vorlesen, ausdrucksvoll und bewußt. Also liest man Ihm etwas vor oder sagt Ihm etwas auf. Und dann stellt man anschließend fest bei der Frage "War ich dabei andächtig oder nicht?": "Nein, ich war nicht andächtig, also war das Gebet wieder nichts. Da kann also Gott mit mir gar nicht zufrieden sein. Er runzelt die Stirne, und ich bin bei Ihm nicht mehr so ganz im Ansehen, weil ich meine Aufgaben nicht so recht gemacht habe."

Sagen Sie nur nicht, daß würde nur auf wenige zutreffen! Diese grundfalsche Vorstellung ist doch höchst verbreitet, diese bleierne, miese Grundeinstellung, die mit der Erlösung nichts zu tun hat! Es stimmt doch nun mal gar nicht. Er ist Dein Dich unsagbar zärtlich, kosend liebendes, flammendes DU! Und ich bin dessen gar nicht wert. Ich bin dieser Liebe nicht gewachsen! "Herr, Du liebst mich" – welche Freude. "Ist es wahr, Du liebst mich, ausgerechnet mich?" – "JA"; "Ganz?" – "JA"; "Flammend?" – "JA"; "mit allem, was Du bist?" – "Selbstverständlich. Ich kann nicht geteilt werden. Du bist Mein. Ich bin Dein." – "Du machst mich würdig, denn ich bin unwürdig." – "Ja deswegen bin Ich ja Dein, weil Du unwürdig bist. Deshalb will Ich ja Dein sein. Dann sag doch ,JA?." – "JA, Herr!"

Brauch ich dazu eine besondere Konzentration? Wenn ich mit einem Menschen, einem Freund, zusammentreffe und ich sage ihm dann plötzlich ein Gedicht auf oder bilde ununterbrochen Sätze, dann wird er wahrscheinlich zu mir sagen: "Ich glaube, mit Dir ist irgendetwas nicht so ganz klar. Benimm Dich doch normal. Ich bin jetzt bei Dir! Geh doch ganz unbeschwert und unbefangen darauf ein, daß ich jetzt bei Dir bin. Freu Dich doch, daß ich da bin!" – Ich bin mit jemandem zusammen, den ich lieb habe. Ich freue mich, daß er da ist. Man sagt sich gar nichts, man schweigt, vielleicht umarmt man sich. Jedenfalls ist man beisammen und freut sich. Gott ist in mir, Er gehört mir, Er ist mein, Er versteht mich, Er weiß alles. Ich brauch Ihm gar nichts zu sagen, Er weiß es ohnehin.

Das ist doch die Voraussetzung! Daraus ergibt sich dann alles andere. Aus Freude darüber will ich es immer mehr wissen! Aus Freude darüber bemühe ich mich, von Ihm zu hören, zu lesen, den Liebesbrief immer intensiver kennenzulernen, den Er mir schreibt, ausschließlich mir, als wäre ich allein auf der Welt – die Heilige Schrift: Ich lese darin, ich antworte. Jetzt gelingt es mir nicht. – Wunderbar! Umso mehr hat ja das Erbarmen in mir zu tun. Es wäre ja fatal, wenn das Erbarmen arbeitslos würde. Es hat bei mir immer ungeheuer zu tun, alles zu tun.

So muß auch die bedenkliche Formulierung "vor allem denen, die am meisten Deiner Barmherzigkeit bedürfen" gesehen werden. Das Maß der Bedürftigkeit Seines Erbarmens ist bei jedem ein unüberbietbarer Superlativ! Jeder bedarf am meisten Seines Erbarmens! Da gibt es keinen Unterschied. Ich bedarf Seines Erbarmens total!

Ich erinnere an die andere ironische Stelle des Herrn, wo Er sagt: "Wem weniger vergeben wird, der liebt auch weniger." Das ist ja das Schlimme, wenn jemand meint, das, was ihm bei der Gewissenserforschung eingefallen ist, das seien alle seine Sünden. Also braucht er das Erbarmen nur zu einem Teil mit Hinblick auf das, was ihm an Sünden eingefallen ist. Sonst ist er in Ordnung. "Im großen und ganzen bin ich ja in Ordnung. Ja, ich hab ein paar Schwächen, aber man kann mich schon so lassen. Und was die paar Schwächen betrifft, dafür brauch ich das Erbarmen."

Nein und nochmals Nein! Jeder bedarf immer und total seines Erbarmens! AMEN.

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