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Niederschrift der Predigt von Pfarrer Milch

3. Sonntag nach Ostern 1984

Meine lieben Brüder und Schwestern,

 

gerade die heutigen Texte vom dritten Sonntag nach Ostern müßten Gegenstand eines ganzen Seminars sein, denn sie sind abgrundtief. Laßt uns in einigen Andeutungen einige Aspekte hervorheben.

Zunächst einmal, so zwischen zwei Anführungszeichen, dies eine mit "der Mutter, die sich freut, wenn ein Mensch zur Welt gekommen ist". Man sieht die ganze Verrottetheit, die ganze Degeneration unseres Geistes heute, wenn im Zuge der sogenannten "Emanzipation" das Muttersein so bestenfalls als "Auch"-Schock gesehen wird. Jede Frau kann ihren Beruf wählen. Wenn sie halt Mutter sein will, soll sie das wählen. Das ist eine Möglichkeit unter anderen. Sie soll Freiheit haben. Wenn sie unbedingt Mutter werden will, sei es ihr gegönnt.

Auch alle schönen Phrasen im Zusammenhang mit dem Müttergenesungswerk, die können nicht darüber hinwegtrösten. Oder Muttertag: das ist auch so eine "grandiose" Erfindung aus Amerika. Für einen, der versteht, was "Mutter" bedeutet, für den ist jeder Tag Muttertag. Das alles kann nicht darüber hinwegtrösten, daß das Entscheidende aus dem Bewußtsein verschwunden ist und im Bewußtsein auch planmäßig zerstört wird. Ich hab mal eine Taufansprache gehört, die mit den Worten anfing "Ein Mensch ist zur Welt gekommen". Es war eine sehr gute Ansprache. Die Frau kann gebären, bringt Menschen hervor. Welch eine hohe, welch eine geistige, welch eine prophetische Bestimmung! Welch eine Auflage des Geistes liegt darinnen, eine prophetische Möglichkeit, eine prophetische Auflage, eine Zukunftzugewandtheit, ein Gründen im Vergangensein und ein Offensein für das Zukünftige! Das ist von einer unabsehbaren Herrlichkeit!

Das wird heute so in eine Ecke gestellt, so neben vielen Möglichkeiten gleichberechtigt katalogisiert bei uns "entwickelten" Völkern, bei uns "entwickelten" Europäern. Bei den "unterentwickelten" Völkern ist da durchaus mehr gesunder Instinkt. Aber die sind eben "unterentwickelt". Wir in Europa sind "entwickelt" – aber was für eine "entwickelte" Bagage! Eine so "entwickelte" Bagage sind wir, daß darunter wahrscheinlich die ganze Welt kaputtgeht; so "entwickelt" sind wir! Man schalte möglichst die Medien ab, um noch etwas vom eigenen Geist zu retten, denn die sind gerade die Quellen der totalen Zerstörung. – Aber, wie gesagt, das zwischen zwei Gedankenstrichen.

Der hl. Petrus bringt eigentlich gleich am Anfang Moralien. Wichtig für uns ist zu bedenken, warum der hl. Paulus immer am Schluß seiner Briefe moralische Mahnungen bringt. Das hat man jahrhundertelang falsch verstanden. Das sah so aus, als ob alles Große, was vorher der hl. Paulus in seinen großen Passagen über das Gottmenschentum, über die Erlösung, über die neugewonnene Freiheit, alles das, was er vorher gebracht hat, nur Mittel zum Zweck war, damit wir "anständig" seien. Zunächst ist es ja auch etwas Schockierendes und frappierend, wenn man seine Briefe liest. Ich denke an Epheser, Kolosser, Philipper, Galater, Römer usw. Die beglückendsten Wahrheiten, kosmische Dimensionen, der Mensch wird hinein- und hinaufgenommen in die höchste Sicht, Übersicht, Überschau, von Christus her, wird auf die Höhe geführt, von der aus er alles beurteilt, ohne beurteilt werden zu können – und dann am Schluß auf einmal so hausbackene moralische Ermahnungen. Man denkt: "Ja, was soll denn das, warum muß das denn sein?" Daraus haben dann einige seit Jahrhunderten die Folgerung gezogen, es sei eigentlich alles nur da um des anständigen Lebens willen. Und das hat sich natürlich verheerend ausgewirkt, daß viele sagen: "Ich lebe auch so anständig, ich brauche die Kirche nicht." Ja wenn tatsächlich die Anständigkeit, der ganze Kribbel- und Pittelkram von Tugenden – "pünktlich sein", "anständig sein", "nicht stehlen", "ehrbar sein Geld verdienen", "früh ins Bett und früh aufstehen" usw., usw., "zuverlässig sein", "keinen Diebstahl begehen", "immer schön zu Hause bleiben", und wie all diese bürgerlichen "Tugenden" heißen –, wenn das tatsächlich der Zweck wäre, wenn Gott – GOTT! – also deshalb Mensch geworden wäre, um am Schandgalgen zu verbluten zu keinem anderen Zweck, als daß der Mensch so schön ehrbar und tugendhaft lebe mit allem Krimskrams bürgerlicher "Tugenden", dann wäre ja diese Vorstellung eigentlich nachgerade eine Gotteslästerung! Denn, um "anständig" zu leben, da bedarf es nur einiger hausbackener Lehrer, die Sinngedichte geschrieben haben – das reicht dann vollkommen! –, aber dazu hätten wir keinen Gottmenschen gebraucht, wirklich nicht!

 

Und so ist ja auch der alte Katechismus aufgebaut. Ich hatte schon einmal darauf hingewiesen. Er ist hoch zu loben wegen der kristallenen Klarheit seiner Wahrheitsaussagen. Aber der Aufbau ist verheerend! Es fängt damit an: "Wozu sind wir auf der Welt?" – Gut. – "Um Gott zu loben, zu ehren, die Gebote zu halten und dadurch in den Himmel zu kommen." – Also wir sollen "anständig" leben, um in den Himmel zu kommen. Nun müssen wir erst einmal wissen, was "anständiges Leben" ist. – Dann kommen also die Zehn Gebote. – Und damit wir die Zehn Gebote auch halten können, brauchen wir Gnadenkräfte und Gnadenmittel. Da werden anschließend dann die Sakramente, die kommen zuletzt, zu Gnadenmitteln degradiert, damit der Mensch auch anständig leben kann...

Das ist natürlich eine hirnverbrannte Ordnung, die vollkommen das Gottmenschentum auf den Kopf stellt und geradezu Christus in einer entsetzlichen Weise erniedrigt!

Nein, nein! Die heiligen Mysterien, das Opfer des Christus, unser Hineingenommensein in Christus ist in sich der Zweck, der Selbstzweck, das Feuer, das anzuzünden Christus auf diese Welt gekommen ist: "Ich bin gekommen, Brandstifter zu sein in den Seelen!" Und jeder sollte sich vor jeder Beichte fragen: Wie steht´s bei mir mit dem Feuer, mit dem Feuer des Geistes? Und wer von diesem Feuer ergriffen ist, der wird dann das Seine selbstverständlich tun.

Und warum bringt jetzt der hl. Paulus am Schluß seiner Briefe immer diese Moralien? – Aus keinem anderen Grunde als dem, um vor dem "salomonischen Unheil" zu warnen. – Was ist das "salomonische Unheil"? – Salomon war voller Weisheit. Das wissen wir. Dafür haben wir Zeugnisse, erregende Zeugnisse im Alten Bund von seiner Weisheit, wobei jetzt nicht an dieses eine berühmte "salomonische Urteil" gedacht werden muß, sondern ganz andere Aussagen über die Weisheit von Salomon. Aber dann am Schluß verfiel er einem schrecklichen Irrtum. Der Irrtum bestand darin: Aus seiner Weisheit, aus der großen kosmischen Übersicht, die er besaß, hat er eine verwegene und frevelhafte Konsequenz gezogen. Er hat sich gesagt: "Alle Bereiche, auch die animalische Sinnlichkeit für sich genommen, isoliert, ist göttlich. Alles ist göttlich. Also darf ich mich überallhin bewegen. Alles ist ein Zeichen der Gottheit." – Das ist die gefährliche Universalität! Da wird alles zusammengestoppelt. Es wird kein Unterschied mehr gemacht zwischen Gut und Böse. Es gibt nichts Böses mehr. Alles wird durchlebt.

So endete Salomon. Er tat, was dem Herrn nicht gefiel, und opferte den Götzen. Dieser Götzenopferdienst war ja sehr spezifisch. Es war nichts anderes als der Tribut, den man der Fruchtbarkeitsgöttin leistete. Und das war ein sumpfiger sexualerotischer Tribut, Sexualismus, Sexuelles, um des Sexuellen willen. So sank Salomon, weil er in der Höhe seiner Erkenntnisse schwelgte und schwärmte und dabei vergaß, daß wir unseren Schatz in irdenen Gefäßen tragen und daß die Kraft und Gewalt Gottes in der Schwachheit, Fadheit und Armseligkeit des Tages zur Vollendung kommen muß. Und darauf weist dann der hl. Paulus am Schluß seiner Briefe immer wieder hin. "Vergeßt nicht, daß ihr nur in nüchterner Entsagung und Wachsamkeit euren Schatz überhaupt bewahren könnt. Er muß mitten in dem, was die Stunde fordert, was der langweilige Dienstag und der miese Donnerstag fordern, bewahrt werden. Von dort, wo Du gestellt bist, auf diesem Platz, darfst Du nicht entweichen, entfliehen in das Reich Deiner eigenen Wünsche, sondern mußt im Zeichen der Entsagung das Kreuz des Alltags auf Dich nehmen, damit Du das Hohe, von dem ich soeben berichtet habe, nicht verlierst!"

Das ist der Sinn der oft so hausbackenen Moral am Schluß der Paulinischen Briefe – nicht etwa als Zweck! Wir gehen nicht in die heilige Messe, um die Kraft zu gewinnen, über die Woche hin ein anständiger Mensch zu sein. Von daher kommt und ist oft und zuweilen durchgängig empfohlen worden: Keine Predigt ohne moralische Nutzanwendung! "Man muß doch etwas nach Hause mitnehmen", heißt es, "damit wir wissen, was wir zu tun haben." Das ist ein sehr bedenkliches und selbstverräterisches Begehren: Ich will wissen, was ich zu tun habe! Ein tieferes Mißverständnis dessen, was Christus bedeutet, gibt es gar nicht! Die Leute wollen konkret vorgelegt bekommen: "Das und das hast Du zu tun, und dann bist Du ein anständiger Mensch und kommst in den Himmel." Das würde vielen so passen. Da würden sie ihre Tribute abliefern und wären salviert.

Nein, nein! Du bist nicht entlassen aus dem Feuer, aus Deiner Begeisterung. Du mußt hinschauen zu der ungeheuerlichen Herrlichkeit, die Dir, ungeteilt Dir, Christus bereitet! Aber Du mußt wissen, daß Du Deinen Schatz in irdenen Gefäßen trägst und daß Du den Alltag als ein Kreuz auf Dich nehmen mußt. Von daher ähnelt der Christ in seinem Gebaren auch dem anderen, der sich etwas darauf zugute hält, ein anständiger Mensch zu sein, diesen Kleinkarierten, Selbstgenügsamen, die sich ihrer Anständigkeit rühmen und sagen: "Ich tue nichts Unrechtes. Ich habe meinen regelmäßigen Tageslauf, und nichts besser" – typisches Spießerwort – "nichts besser, als wenn man seine Ordnung hat und alles seinen geregelten Lauf geht." Und dann sind die glücklich.

Der Christ ist darüber gar nicht glücklich! Für den Christen ist das ein Kreuz! Er nimmt es als Kreuz auf sich. Aber er fühlt sich darin keineswegs wohl! Sein Geist ist zu groß, um nicht den Alltag als ein Kreuz zu erleben und als Kreuz tatkräftig auf sich zu nehmen. Deshalb geht von dem Christen, der pünktlich das Seine tut, eine ganz andere Atmosphäre aus, ein ganz anderes Fluidum: gelassene Größe, eine gewisse Leichtigkeit! Er nimmt das Kreuz auf sich, aber er weiß, daß es ein Kreuz ist. Er weiß es einzuordnen. Er hält sich darauf nicht etwas zugute. Er sieht darin weder einen Zweck noch ein besonderes Mittel zum Zweck. Es ist etwas, was sich zwangsläufig ergibt, aber er steht darüber. Mit dem Herzen eines Vagabunden bleibt er Bürger und ist Bürger, aber sein Herz ist leicht, von heiligem Leichtsinn erfüllt. Er klebt nicht an dem, was er da zu vollziehen und zu besorgen hat. Ohne Sorge besorgt er das Seine und wird nicht unglücklich, wenn irgendetwas kaputtgeht und wenn eines von den Zelten, die er aufgerichtet hat, zusammenklappt. Er wird darüber nicht unglücklich. Er ist immer souverän. Die heilige Eleganz des Geistes, die der Heilige Geist vermittelt, kennzeichnet ihn. Er ist also alles andere als ein Spießer, der stolz ist auf sein "Üb immer Treu und Redlichkeit", sondern er ist gepackt von gewaltigen Gedanken und gewaltigen Hoffnungen und Zielsetzungen. Und dann tut er auch automatisch das, was ihm der Tag auferlegt.

Ich denke, Sie verstehen den entscheidenden Unterschied. Deshalb will der hl. Paulus nur sagen: "Bleibt an Eurem Platze. Der Sklave bleibe Sklave. Jeder bleibe dort, wo ihn der Herr hingestellt hat. Deine Freiheit kann kein Fronherr und kein Sklavenhalter je erschüttern!" Darum ist es auch weit gefehlt zu denken, es wäre Christus um irgendeine gerechte Sozialordnung gegangen. Wie es ja heute immer erzählt wird, er hätte nur deshalb und in der frühen Urkirche hätte man nur deshalb auf soziale Aspekte keinen Wert gelegt wegen der Naherwartung des Herrn. Sie hätten gedacht, er kommt ja doch bald, es lohnt sich da nicht groß auf Erden neue Ordnungen und Gerechtigkeiten einzuführen. – Natürlich totaler Unsinn! Denn die Naherwartung hat jeder. Die Erwartung der Menschheit ist immer so nahe, wie die Jahrzehnte oder Jahre den einzelnen von seinem Hinscheiden trennen. Jeder von uns hat Naherwartung. Und deshalb sieht jeder von uns das Entscheidende und erwartet kein kollektives menschliches Glück. Das ist ein totaler Irrsinn, sich für künftige Zeiten in die Bresche zu schlagen und die Fundamente einzustampfen, damit künftige Geschlechter eine gerechtere Sozialordnung haben. Als würden sie dadurch glücklicher! Wie kann mir denn eine gerechte Sozialordnung, auch wenn ich Hilfsarbeiter bin, zu meinem eigentlichen Glück beitragen? Ich muß mir genauso sagen: "Entweder ist mit dem Tod alles zu Ende, und dann nutzt sowieso alles nichts" – die gerechteste Sozialordnung ist dann eine lächerliche Angelegenheit, eine zu vergessende Größe – "oder es geht nach dem Tode des Körpers in die große, ewige Wonne, Macht und grenzenlose Vollendung." Dann freilich lohnt sich alles, auch die noch so ungerechte Bezahlung als Hilfsarbeiter. Also wir müssen uns ganz gewaltig von dem heutigen allgemeinen Zeitgeist trennen!

Aber nun ist ja die Rede von der "kleinen Weile". "Eine kleine Weile, und ihr werdet Mich nicht mehr sehen," – das gilt auch für die heutige Situation – "und wiederum eine kleine Weile, und ihr werdet Mich wiedersehen." – Bezogen auf die Kirche heißt das, daß wir jetzt die Kirche dort, wo sie sich als solche offiziell darstellt, nicht als solche ihrem Wesen nach erkennen, daß dort, wo sie ist – sie ist auch bei uns! –, aber wo sie sich offiziell präsentiert, total entstellt und verfälscht in Erscheinung tritt, besetzt, überwuchert, überlagert von einer einzigen – einzigen! – falschen Doktrin beherrscht, nicht etwa von einer Summe, einem Katalog von Skandalen, sondern von einer einzigen Falschideologie! Und je mehr Richtigkeiten hinter dieses falsche Vorzeichen kommen, um so schlimmer sind die Richtigkeiten! Und nach menschlicher Vernunft, wenn man ganz vernünftig ist, ganz nüchtern und nach den Gesetzmäßigkeiten der Erfahrung geht, hat man gar keine Aussicht. Da ist kein Raum für Hoffnung. Da blinkt kein Stern. Die auf der anderen Seite, die lassen schon mal die Alten verschnaufen und lassen paar Konservativismen zu. Die Konservativen richten sich dort gut ein. Die Nicht-Progressisten mit ihrem "Immerhin" und "Wenigstens": die Nicht-Progressisten sind die eigentlichen Steigbügelhalter und Promotoren des Progressismus! Der Progressismus verdankt seinen Erfolg einzig und allein den Nicht-Progressisten, den braven, konservativen Gehorsamen!

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