Niederschrift der Predigt von Pfarrer Milch
4. Fastensonntag (Laetare) 1986
Meine lieben Brüder und Schwestern,
CHRISTUS, heißt unser angesagtes Thema für heute, GOTT UND MENSCH!
Das ist so ungeheuerlich, daß wir damit nicht fertig werden und nie fertig werden können. Und es soll uns im Grunde Tag und Nacht bewegen, daß wir nicht loskommen von dem Gottmenschentum, denn das ist der Inbegriff unserer Religiosität, unseres neuen Daseins, Deines und meines neuen Lebens: Christus – Gott und Mensch, der eine Gott als Sohn des Vaters und als Mensch, der Mensch!
Gott ist in die Welt gekommen – GOTT! Und wir müssen uns immer wieder klar werden über das Unaussprechliche, was da ist – GOTT! – unvorstellbar, unendlich. Die Unendlichkeit entzieht sich jeder Vorstellung. Alles, was räumlich gedacht ist, versinkt vor der Unendlichkeit. Die Unendlichkeit ist nichts Körperliches und nichts Räumliches. Unendlichkeit heißt nicht eine Ausdehnung, die nicht aufhört, sondern es ist eben das Nicht-Ausgedehnte und Nicht-Ausdehnbare und Nicht-Teilbare.
"Ja, wie soll ich mir's vorstellen?" – Eben gar nicht. Er ist überall ganz, in jedem kleinsten Teil eines Raumes, in jedem millionstel Millimeter ganz, jeweils ganz da. Der unendliche Gott erfüllt und überwölbt das ganze Weltall und ist im Kleinsten, Allerkleinsten, denkbar Kleinsten da. Aber alles räumlich Vorstellbare ist ja auch ins Unendliche hinein teilbar. Und im unendlich kleinsten Teil ist wiederum der unendliche Gott. Wenn ich schon eine Vorstellung haben soll – und ohne Vorstellung kann ich gar nicht denken, automatisch stelle ich mir irgendetwas vor –, dann muß ich meine Vorstellung wenigstens in etwa dem angleichen, was da unendlich ist, un-räumlich, über allem Raum und ewig über aller Zeit, keine Dauer ohne Ende, sondern ohne Dauer, ohne Zeit das ewige JETZT: GOTT!
Wie stell' ich Ihn mir vor, wenn ich mir etwas vorstelle? – Ein Antlitz. Ja, wenn schon ein Antlitz, dann muß in diesem Antlitz sein: Kühnheit! Er ist der Allerälteste und Allerjüngste. Jünger, als wir das Allerjüngste uns im Traume vorstellen könnten, ist Gott! Urälter, als wir uns den Ältesten vorstellen könnten, ist Gott! Stellen wir Ihn uns also vor als eine Feuersbrunst, eine Landschaft und ein Gesicht von Feuer, Augen wie Flammen, das Antlitz heller als tausend Sonnen, zehrend, sengend, urgewaltig, kühn. Alles, was wir uns an Genialität vorstellen könnten, an Kühnheit und Sturm und Freiheit und Lachen und JA-Sagen: das ist in diesem Antlitz unendlich drinnen! Und alles, was wir uns vorstellen, ist zu gering: ein Antlitz, das alle Sterne und flammende Sonnen umspannt voll Liebe und Gewalt – GOTT! –, ein Abgrund von Feuer, ein Abgrund aus dem hervorbricht Er wiederum selbst.
Er ist Vater, Er ist Sohn, Er ist Heiliger Geist – drei Personen, ein einziger Gott, eine einzige, unteilbare, unendliche Gottheit! Und der Unendliche kann nur Einer sein, aber in drei Personen. Und diese drei Personen – der zeugende Vater, der sich selbst aus sich herausstößt in Ewigkeit und sich im Sohne liebt, und beide diese Liebe zum Ausdruck bringen in der dritten Person, im Hl. Geist –, diese drei Personen kreisen ineinander in endloser Ekstase, wohnen ineinander, weil Sie außer Sich sind, jeweils ein kreißendes Feuer, gewaltig und nur Licht und keine Finsternis, nichts Negatives, nichts Böses, keine Rachsucht, kein Haß – auch kein Zorn! Denn menschlicher Zorn, Wut kommt immer aus dem Aufbegehren heraus, aus einer gewissen Ohnmacht heraus; aber da Gott keine Ohnmacht kennt, kennt Er auch keine Wut. Und dieses Licht ist schaudererregend, furchterregend.
Wir sollen schon starr, bebend vor Ehrfurcht unsere Augen, die Augen des Geistes auftun in Hingabe, in Anbetung, um in Ihm zu versinken, und unterzugehen, um in Ihm aufzuerstehen; denn dazu ist der Mensch da, und alle Welt, und alles Geschaffene.
GOTT! Es muß einem der Atem stocken bei dem Wort "GOTT" – nur Angst ist fehl am Platze, keine Angst, wohl aber Furcht. Denn, so definiert es ja der hl. Johannes in seinem ersten Brief: "Das ist die Botschaft, die wir euch verkünden" – das ist die Ansage, die feierliche Ansage eines Dogmas, der erste Fall von wirklichem Dogma, unfehlbar ausgesprochen –: "GOTT ist Licht und in Ihm ist keine Finsternis." Das heißt im Klartext: Stellt Ihn euch also nicht so menschlich vor, wie es noch euer unbeholfener Geist im Alten Bunde zu tun gezwungen war; ihr habt euch einen Gott vorgestellt mit Regungen menschlicher Unzulänglichkeit, aber in Ihm ist keine Rachsucht und keine Wut, keine Ohnmacht, sondern die Fülle des Lichtes, die Fülle des Seins!
Kein Mensch ist Seiner wert, und kein Mensch ist imstande, Ihn zu erreichen, denn zwischen dem unendlichen Sein und dem endlichen, das Er erschafft, aus dem Nichts ins Dasein ruft, klafft ein endloser Abgrund, und kein Mensch findet je einen Weg zu Ihm. Kein Mensch vermag Gott zu erreichen! Daher Vorsicht mit allen unklaren Aussagen, wie z.B. "Ich habe meinen eigenen Weg zu Gott" – Es gibt keinen Weg zu Gott! Auch das schöne Lied – es ist schön! – "Näher mein Gott zu Dir" ist genauer besehen eben Unsinn! Ich kann Gott nicht näherkommen: Entweder bin ich drinnen, oder ich bin draußen! Wenn ich draußen bin, kann ich Ihm nicht näherkommen, es sei denn, Er holt mich in Sich hinein. Da gibt es nur das Entweder-Oder, das Ja oder Nein, Heil oder Unheil, Fluch oder Segen, Drinnen oder Draußen. Das Drinnen-Sein freilich kann intensiviert werden und muß intensiviert werden, verstärkt werden. Daher Taufe, Tauche, aus dem Außen ins Innen Gottes hineingeholt. Alle sieben Sakramente, eine siebfach gefaltete Tauche, Taufe: Ich bin drinnen! Darum heißt ja die Taufanzeige: Gott, dem Allmächtigen, hat es in Seiner unergründlichen Liebe gefallen, Seinen Diener oder Seine Dienerin zu Sich zu holen in Sein himmlisches Reich. Das geschieht in der Taufe, nicht beim Leibestod! Da bist Du schon drinnen! Durch den Tod des Leibes offenbart sich nur, daß Du drinnen bist. Da mußt Du nicht erst hin. Du bist ja schon da, nur merkst Du es noch nicht.
GOTT: Feuer, Licht, Abgrund, Unendlichkeit, alles, was ich mir vorstellen kann, unendlich überragend – GOTT! Deshalb Vorsicht in der Ausdrucksweise: Man kann im Zorn oder Leichtsinn den Namen Gottes mißbrauchen, aber man mißbraucht den Namen Gottes auch durch verharmlosende Bezeichnungen. Es ist so erregend und alles so überwältigend, diese Liebe ist so zehrend und flammend und sengend, daß ich da nicht mit Formulierungen wie "Gucke mal da, das liebe Gottchen" kommen darf – auch gegenüber kleinen Kindern nicht! Man habe doch keine törichte Vorstellung vom Fassungsvermögen eines Kindes! Niemand ist aufgeschlossener für das schaudererregende Geheimnis, für das "mysterium tremendum et numinosum" als das Kind. Deshalb dem Kind zu sagen "Gucke mal da, da hängt das liebe Gottchen": Auch das ist ein ungewollter und unbewußter, aber objektiver Mißbrauch dieses ungeheuren Namens, dieser ungeheueren Wesenheit. Man soll sich dessen immer bewußt sein.
Die hl. Theresa von Avila hat ihr Leben lang gerungen danach, die Majestät, wie sie sagte, gebührend anzureden. Und sie schauderte zurück davor, vor diesem Wagnis: "Ich wage es zu sagen: VATER – mein VATER! Weiß ich, was ich tue? Bin ich mir darüber im klaren, zu sagen "VATER". Wer bin ich, daß ich zu dem unendlichen Gott sagen darf – "VATER"? Warum mache ich mir das nicht klar, warum erbebe ich nicht davor?"
Und das ist in jeder echten Religiostät drin, dieses, was Petrus bewegt hat zu rufen: "Herr, geh hinweg von mir, ich bin ein sündiger Mensch!" Und dann erst zu begreifen, was es heißt: Ich darf, weil Er will! "Herr, zu wem sollte ich gehen. Du allein hast Worte des ewigen Lebens." Jegliche Selbstgefälligkeit, Selbstgerechtigkeit, jegliches "ja, ich kann mir's leisten, ich bin würdig, ich darf" erlischt und bricht zusammen vor GOTT! Ich bin es nicht wert, ich darf es nicht von mir aus! Es ist ein ungebührliches Wagnis, soweit es von mir aus kommt! Nur in Ihm und durch Ihn darf ich, weil Er will, nicht weil ich will! Und darum steige ich ein in Seinen Willen und werde hineingerissen zu Ihm hin, in Ihn hinein, durch Ihn! Als könnte man je damit fertigwerden oder solche Ungeheuerlichkeit damit abtun, daß man seine Gebete verrichtet: Punkt, Aus und Schluß. – DAS GEHT NICHT!
Und dieser Gott erscheint im Fleische und wird Mensch und ist Mensch – dieser Mensch mit Seinem gewaltigen Antlitz: das Antlitz eines Genies! Es gibt Gesichter, da kann man sich nicht sattsehen, da kann man stundenlang hinschauen: geistsprühende Gesichter, mächtige Augen, der Blick unwiderstehlich – ein Gesicht! Christus darzustellen: das dürfen wirklich nur weit Vorangeschrittene, das darf nur erlaubt werden solchen, die einen Kursus des pneumatischen, des mystischen und des sittlichen Lebens hinter sich haben, um dieses ungeheure Antlitz darzustellen. Es ist einfach nicht erlaubt zu sagen "Ja, für die einfachen Menschen kann man auch schlechte Ware liefern".
Was heißt hier "einfachen Menschen"? Der einfache Mensch ist etwas Herrliches, etwas Erhabenes, aber die Primitivität hat im Raum des Gottmenschentums kein Recht! Der einfache Mensch und der primitive Mensch: das sind zwei himmelweite Gegensätze und Unterschiede! Darum: diese süßlichen Klischeebilder von Jesus sind objektiv gotteslästerlich und nicht zu dulden!
So ein Antlitz – ein Mensch: und dieser Mensch ist GOTT! Er bewegt das Weltall, Er bewegt die Sterne im Kontinuum. Ununterbrochen erschafft Er die Welt, denn die Welt muß ununterbrochen, in jedem Bruchteil jeder Sekunde, neu geschaffen werden, denn wenn sie nicht ununterbrochen erschaffen wird, zerfällt sie ins Nichts. Dieser Mensch erschafft die ganze Welt - ununterbrochen! Und dieser Mensch ist GOTT. "Ehe Abraham ward, bin Ich. Ich bin, der ICH BIN", so stellt Sich der Herr vor im brennenden Dornbusch. "Moses, zieh Deine Schuhe aus. Hier ist heiliges Land, hier ist ein heiliger Raum."
Gott wird nun selber Mensch. Der Mensch ist Gott, und Gott ist Mensch, und Gott selber leidet. Was ist aber der Mensch, daß Gott Mensch wird? Nicht etwa ein kleines Stäubchen im Weltall: das ist nicht der Mensch, sondern der Mensch ist die Welt, die Milchstraße mit allen Gestirnen und allen Sonnen, das Weltall mit allen Planeten, die durch unendliche Räume kreisen. Der Mensch ist mehr! Jeder Gedanke eines Menschengeistes ist mehr als das ganze Weltall! Der Mensch ist alles: in sich hegt er Materie und Pflanzen und Tier und Geist und Engel – alles! Der Mensch ist das priesterliche Geschöpf, das Mittlerwesen, das Geist und Materie umspannt! Und im Untersten soll das Höchste zur Entfaltung kommen: in der Materie der Geist, im Sichtbaren das Unsichtbare. Schönheit hineinzubringen in den Stoff, ist der Mensch da. Die Kraft und Herrlichkeit des Geistes soll zum Ausdruck kommen in der Niedrigkeit der Materie, und in der Materie soll sich sein Geist enthüllen und Schönheit stiften.
Aber dieser Geist, dieser geschaffene, Ebenbild Gottes, kann nur sich selbst finden in Gott. Und Gott bietet sich daher dem geschaffenen Geiste an, und zwar dem geschaffenen Menschengeiste. "Willst Du, so nehme Ich Dich in Mich hinein." Aber dieses Angebot hat der Mensch ausgeschlagen auf den Rat Satans hin. "Ich will Dir nicht gehören, sondern aus Eigenem werden wie Du!" – Das ist der frevelnde Gegenrat und die frevelnde Gegenentscheidung des ersten Menschen. Und er fiel heraus aus Gott und war preisgegeben seiner reinen Geschöpflichkeit und verlor so die Herrschaft über die unteren Bereiche, und es zerfiel die Welt in sich – nur der Rest der Sehnsucht blieb und die Sehnsucht litt an den Folgen der Verweigerung. Und in die Folgen der Verweigerung selber kommt Gott und nimmt Fleisch an unter den Bedingungen dieser Folgen und wird uns in allem gleich, ausgenommen die persönliche Sünde. Er wird aber für uns zur Sünde und zur Gottesferne, damit Gottes ungeheure Kraft und Herrlichkeit in der äußersten Schwachheit zur Vollendung komme.
Und darum geht der Gottmensch leidend ein ins Nichts. Er entäußert sich Seiner Gottheit und Seiner selbst und geht in die Gottesferne: Gott geht in die Gottesferne! Nur Er – als Gott! – kann erfahren in der Natur des geschlagenen Menschen, was es um die Gottesferne ist! Du und ich, wir sündigen, aber was Sünde wahrhaft ist, erleidet Gott im Fleische. Werden wir je damit fertig?
Und darum, daß Er nun eindringt in Dein und mein Nichts, holt Er Dich und mich in Sich hinein und vergöttlicht Dich und mich und präsentiert Sich als das flammende, ewige, allmächtige, unbedingte "JA"-Wort zu Dir und zu Deinem Leben. Und Er gehört Dir ungeteilt und bietet sich Dir an in jedem Bruchteil jeder Sekunde: "Ich bin Dein und erbarme Mich Deiner und reinige Dich erneut – total!" Und Er geht soweit, daß Er in der Gestalt des Brotes Sich hier vergegenwärtigt und die Eigenschaft des Brotes annimmt und des Weines. Und wenn ich da die runde Scheibe sehe, sehe ich Gott und sehe den Beweger der Welt und weiß, vom Tabernakel aus wird die Welt erschaffen! Und da ich Ihn empfange, und da ich, als Gefirmter, Inhaber des Hl. Geistes bin, wird von der Station meines Geistes aus die Welt ständig erschaffen und bewegt, weil Gott in mir ist und ich in Gott.
Damit werden wir nicht fertig, damit wird schon keine Predigt fertig, wie wohl noch nicht einmal ein Menschenleben, das tausend Jahre währte, damit fertig werden könnte. Nur nicht aufhören, nur niemals "GENUG" sagen, nie den Geist schweigen lassen! Wie sagt der hl. Augustinus: "Wie könnten wir schweigen, wo doch schon die Redenden stumme sind." Darum laßt uns nicht aufhören zu staunen über das Wunder, das am Menschen geschehen ist, da Gott Mensch wurde in Christus. AMEN.
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