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Niederschrift der Predigt von Pfarrer Milch

8. Sonntag nach Pfingsten 1987

Meine lieben Brüder und Schwestern,

 

erlauben Sie mir, daß ich wiederum dieses Evangelium übergehe, denn ich habe es noch nicht begriffen. Ich hoffe, daß ich es bei langem Anschauen und beim Angeschautwerden irgendwann einmal begreifen werde. Bis jetzt noch nicht, deshalb rede ich auch nicht darüber; so in Ansätzen, so eine gewisse Tendenz, aber das genügt nicht.

Ich möchte von der Lesung ausgehen im Römerbrief: "Wir sind nicht dem Fleische verpflichtet." Da steht mal wieder so eine fragwürdige, eckige Klammer "dem begehrlichen Fleische verpflichtet". Nein, das ist Unsinn! "Fleisch" ist die Haltung von unten! Mancher mag meinen, weil er mit gewissen Sünden gegen die Fleischeslust – obwohl das ja auch etwas anderes ist, als gemeinhin gedacht wird –, weil er mit gewissen Sünden gegen das sechste Gebot relativ wenig zu tun hat, sei das kein Thema für ihn. Das ist natürlich ein großer Unsinn! "Fleisch" ist die Haltung von unten, die Sicht von unten her, das Denken aus der Waagerechten, das Denken aus dem Nebeneinander und Miteinander, das Denken des allzu Üblichen, des Gewöhnlichen, das, was "man" so sagt, "man" so meint: das ist "Fleisch"! Das Sich–Halten ans sogenannte "Konkrete", das, was viele meinen, wenn sie sagen, "sie würden mit beiden Beinen auf dieser Erde stehen", die es mit der Mehrheit halten, die überhaupt von der Mehrheit etwas halten: die sind "dem Fleische verpflichtet" und "dem Fleische hingegeben"! Die Achtelpsychologen dieser Tage, all die, die heimgesucht sind von dem, was ich so "die Meinungssucht" nenne – kaum einer ohne solche; jeder hat Meinungen über alles –: das ist "Fleisch", die Haltung von unten! Der Wahn, von allem etwas zu wissen, und auch der Wahn, möglichst viel wissen zu wollen und zu sollen, möglichst viel Wissen in sich hineinzuschlingen, um mitreden zu können, um auch einen Beitrag leisten zu können: das ist "Fleisch", das ist die Haltung des Von–Unten! – Der wahrhaft Weise weiß vom Nichtwissen!

Sehen Sie: Einer der gültigsten, einer der erregendsten Vorläufer des Herrn, des Menschensohnes: Sokrates. Er lebte einige Jahrhunderte vor dem Erscheinen des Gottmenschen. Er erzählt in seiner Verteidigungsrede, in der berühmten, daß er bei der Pythia war, dem Orakel von Delphi, und dort die Auskunft bekam, der Weiseste sei Sokrates. Da er nun diese Auskunft unter keinen Umständen akzeptieren wollte und konnte, wollte er sie widerlegen und ging zu denen, die als die Weisesten im Lande galten: zu Professoren, zu Wissenschaftlern, zu renommierten Koryphäen der verschiedenen Fächer und fragte und fragte und fragte. Und schließlich kam er zu dem Ergebnis: "Die Pythia hat recht gehabt. Ich bin in der Tat der Weiseste. Zwar weiß ich auch nichts, die anderen wissen nichts, aber sie wähnen zu wissen. Ich wenigstens weiß, daß ich nichts weiß, und darum bin ich der Weiseste!"

Sehen Sie: Es ist Legion, was wir nicht wissen. Fragen sie mal einen, was das ist – Licht. Der Physiker wird sofort mit sehr distinguierten und differenzierten Auskünften ankommen, aber er weiß ganz und gar nicht, was Licht ist! Er weiß vielleicht, wie es zustande kommt, aber was das Licht ist, kann keiner sagen. Du weißt es im Innersten, aber Du kannst es nicht ausdrücken. Aber Du weißt erst, was Du weißt, wenn Du weißt, daß Du es nicht ausdrücken kannst, daß Du es nicht darlegen kannst, daß es nicht dem diskursiven, logischen Denken unterliegt. Sage einem Blinden, was "blau" ist oder "rot". Was ist "Musik", was ist ein "Ton"? Was machst Du eigentlich, wenn Du singst? Was machst du, um einen Ton zu treffen, was unternimmst Du? Welche Überlegung stellst Du an, um einen Ton hervorzubringen oder eine Melodie zu singen? – Du weißt es nicht, ich weiß es nicht, keiner weiß es! – Was ist die Welt? Was liegt allem, was ich sehe und höre und wahrnehme, zugrunde? Was ist es um den Träger aller Eigenschaften? Ich weiß es, daß es diesen Träger geben muß, die "Substanz", aber ich weiß nicht, was es ist. Und solange ich weiß, daß ich es nicht weiß, komme ich dem Begreifen näher und nahe!

Naturwissenschaftler reden sehr oft von "Substanz". Das ist unbefugt! Sie haben rundherum mit dem, was "Substanz" ist, nichts, gar nichts zu tun, sondern wirklich nur mit Eigenschaften. Alles, was ich wahrnehme, was ich spüre, was ich verfolgen kann, was ich beobachte, erfahre, wahrnehmen kann: das sind alles Eigenschaften! Mit verfeinertsten Mikroskopen, mit ausgeklügelsten Rechnungen und logischen Verfahren kann ich niemals herankommen an die Substanz! Ich hab es immer nur mit den Eigenschaften zu tun, aber es ergibt sich aus dem Begriff "Eigenschaften", daß sie irgendetwas anhaften, Eigenschaften von etwas sind. Aber von was die Eigenschaften sind, das kann ich niemals wahrnehmen, und das entzieht sich allem, womit Naturwissenschaftler zu tun haben!

"Brot" ist für mich ein Phänomen mit Eigenschaften, das in mir wirkt, daß ein Verdauungsprozeß bestimmter Art stattfindet mit diesen und jenen Begleiterscheinungen. Das alles gehört zum Bereich der Eigenschaften. Es ändert sich nichts an all dem, was ein Naturwissenschaftler feststellen kann, nach der Wandlung. Aber was all den Eigenschaften, die das Phänomen "Brot" ausmachen, zugrunde liegt, das geht über in Christus – das wird auch nicht vernichtet –: es wird hinübergeführt! Es geht ein in Christus, wie der Tropfen übergeht in den Wein, den ich in den Wein hineingebe. Christus bemächtigt Sich dieser Eigenschaften und macht sie Sich zu eigen. Er ist es dann, den ich sehe! Denn wenn ich irgendeinen sehe, sehe ich seine Eigenschaften.

Ich weiß nur, daß dem, was ich sehe, das zugrunde liegt, was ich nicht sehen, nicht hören und niemals wahrnehmen kann! Was ist es? – Du kannst es niemals ausdrücken, niemals erklären! Du kannst damit nicht mit irgendwelchen verstandlichen Prozessen umgehen. Du weißt, daß du nichts weißt!

Das ist das Staunen, der Anfang des großen Staunens, des Hinschauens, des Sich–Anschauen–Lassens, des Hörens, des Aufnehmens. Der Staunende bewahrt und entfaltet die Würde des Menschen. Darin liegt sie: im wissenden Nichtwissen und im Anschauen der Schönheit! Was ist Schönheit? – Glanz des Wesens. Was ist aber das Wesen, sage es mir? – Du kannst es nicht sagen. In der Tiefe weißt Du es. Und dieses Wissen wird akut in dem Maße, wie Du weißt, daß Du es nicht weißt! Und dann kommt das geheimnisvolle, wissende Nichtwissen zustande. Und der Mensch, der darum weiß – um dieses Nichtwissen – und darum schaut und staunt mit weit aufgerissenen Augen und mit weit gespannten Ohren, das ist der Mensch der Würde, der sein Wesen wahrt!

Was weiß man heute schon von Menschenwürde und von Menschenrecht, wo ununterbrochen davon geredet wird. Und die am meisten davon reden, wissen gar nichts! Sie wissen nichts von dem, was der Mensch überhaupt ist. Fragen Sie die Vielen, die ununterbrochen davon reden. Sie wissen gar nichts! Und es fehlt ja auch nicht viel, wie man so rundum hört im publizistischen Bereich, in verschiedenen Sparten der Öffentlichkeit, daß es zur Emanzipation der Hunde und Katzen nicht mehr allzu weit entfernt ist. Worin liegt da auch der Unterschied? Die Tierschützer und Umweltidioten, die sind ja nahe dran, schließlich auch den Hunden die gleichen Rechte zu gewähren. Denn sie wissen ja nichts. Das Schlimme ist, daß sie eben nicht wissen um ihr Nichtwissen, und dann wird alles gleich, alles banal, alles vollkommen sinnlos! Und sie wollen ja diese Sinnlosigkeit., und sie geben sich mit dem Nichts ab, ohne zu wissen, daß es ein Nichts ist. Sie geben sich ab mit den Erscheinungen und Eigenschaften, ohne daran zu denken, daß diese Eigenschaften irgendetwas anhaften. Und wenn ich Eigenschaften nur so zur Kenntnis nehme und mit ihnen umgehe, um etwas zustandezubekommen, was meinem Wunsch entspricht, dann ist das ein Umgang mit dem Nichts. Denn was nun einmal da ist und eben halt da ist, und ich sehe es, nehme es zur Kenntnis und gebrauche es: das ist das Nichts, das sind Seifenblasen und Varianten des Nichts!

Was nun einmal da ist: ein ES, ohne Beziehung, ohne eine Vorausschau des Ganzen, ohne Wissen um das Universum, um das Ganze; lauter Zufälligkeiten, die mit einem ungeheuren Aufwand noch nicht dagewesener Gedankenschärfe registriert, bearbeitet, in Dienst gestellt werden, um dann mit "höchstem Glück" einen sogenannten "Fortschritt" festzustellen, wenn z.B. jemand auf dem Mond landet.

Was hat das mit meinem Schicksal zu tun? Was hat das mit dem zu tun, was ich bestaune? Und was hat das zu tun mit meiner Würde und mit meiner Ewigkeit? Und was hat das zu tun mit der großen Liebe und mit dem großen DU, das mich will und meint? Was heißt DU, was heißt ICH? Sage es mir! – Du kannst es nicht sagen. Und wenn Du weißt, daß Du es nicht sagen kannst, dann kommst Du nahe daran, es unwissend zu wissen und hinzuschauen und zu erfahren, daß eine unendliche Liebe Dich flammend will, mit unbedingtem, ungeteiltem, unendlichem, allmächtigem Wollen Dich will, sich nach Dir brennend sehnt, um Dich zu bergen und hineinzuziehen in eine unaussprechliche Ekstase!

"Ekstase" ist der Übersprung, der Übergriff, der Überschritt, der Übergang, das Außer–Sich–Sein, auch außerhalb allen Wissens, allen Denkens, aller denkerischen Prozesse. Ich bin gefangengenommen in die höchste Freiheit, hineingezogen, hineingesogen in eine Wonne.

Was ist "Wonne"? Sage es mir, teile es mir mit? Was ist "Liebeswonne"? Erkläre es mir mal, ich habe es noch nicht erlebt. – Du kannst es nicht erklären. Man kann es nur schauen, ahnen, hören, eintauchen, versinken. Das wird in Ewigkeit sein, am Ende ohne Ende!

Es ist wichtig, dies zu beherzigen, angesichts der törichtesten Überlegungen, die neuerdings angestellt werden. Ich hab vor kurzem ein Buch durchgeblättert: "Ökumenische Gespräche". Da wird verhandelt über die Begriffe der "Wesensverwandlung" der "Realpräsenz", d. h. der wirklichen Gegenwart des Herrn beim sogenannten "hl. Mahl", das übrigens gar kein "Mahl" ist! Es gibt auch keine "Mahlgestalt"! Es ist auch vollkommen falsch, wenn man sagt: "Mal wird mehr das Opfer, ein andermal wird mehr das Mahl betont." Es ist kein "Mahl", es ist ein "Essen und Trinken"! Und weil es ein Opfer ist, ist es ein "Essen und Trinken", aber kein "Mahl" und keine Gemeinschaftsveranstaltung – ganz und gar nicht! – sondern das Opfer und etwas Großes!

Und an diesem einmaligen, was wir als katholische Christen gesagt bekommen, da entfaltet sich nun schauend die ganze unabsehbare Pracht der Opferliturgie, die gar nicht prächtig, die gar nicht herrlich, gar nicht entrückt genug dargestellt werden kann, nicht jenseitig, nicht entfernt, nicht unalltäglich, nicht ungewöhnlich genug sich darstellen kann, um wahrhaft zu sein und wesensgemäß – ganz im Gegensatz zu dem entsakralisierten Pöbelgebahren der Falschliturgie, die heute ringsum sich breitet! Das, was festzuhalten gilt und noch viel weiter zu entfalten gilt, ist die Liturgie der Entrücktheit, des Hinschauens, des Gebanntseins!

Sehen Sie: Dieses Herumwimmeln im Vielerlei, dieses Hineinfressenwollen von möglichst vielem Wissen, dieses Sich–Tummeln in Ansichten, dieses Kokettieren mit Meinungen: das ist "Fleisch" – während "Geist" heißt: Hinübergang ins wissende Nichtwissen und Schauen!

Sehen Sie: "Fleisch" z.B. ist dieses törichte, widerliche Aufbegehren beispielsweise gegenüber dem Dogma von der "leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel", diese moralistische Fragestellung: "Wozu soll ich das wissen? Was nützt es mir?" Auch das Aufbegehren gegenüber einer Predigt: Man will doch etwas mitnehmen in die Woche – die berühmte Vorstellung der Nutzanwendung: "Was kann ich denn damit anfangen? Wie kann ich's umsetzen ins Tugendleben?"

Aber ich freue mich darauf, es einst zu schauen! Und ich kann es schon erahnen im Maße meines jetzigen Schauens und Hörens und Empfangens. AMEN.

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